
Lang, schlank, schnell: Der bis zu 27 Meter lange und bis zu 76 Tonnen schwere Finnwal erreicht 46 km/h.
Ein effizienter Gigant
1800 Kilo Krebs und Fisch nimmt ein Finnwal täglich zu sich. Um das zu meistern, hat er eine clevere Strategie.
Von Nathalie Chiavacci
Sein wundervoll schlanker Körper ist gebaut wie eine Rennyacht. Dabei ist er schneller als das schnellste Dampfschiff der Weltmeere.» Das schrieb Roy Chapman Andrews (1884–1960) in seinem Buch «Waljagd mit Gewehr und Kamera» über den Finnwal. Der US-Naturforscher begleitete Anfang des 20. Jahrhunderts acht Jahre lang Walfänger rund um den Globus, um das Verhalten der Meeressäuger zu studieren und zu fotografieren.
Mit Wandergeschwindigkeiten von bis zu 46 Stundenkilometern ist der Finnwal tatsächlich zügig unterwegs. Andrews bewunderte aber nicht nur das Tempo und den torpedoförmigen Körper des Grosswals. Vor Alaska konnte er auch das Fressverhalten der Finnwale beobachten.
«Die grossen Tiere lagen an der Wasseroberfläche. Durch mein Fernglas konnte ich erkennen, wie sie sich jedes Mal, wenn sie ein Maul voll Shrimps aufnahmen, zur Seite rollen liessen. Dabei schlossen sie ihren Unterkiefer über den oberen und spritzten das Wasser durch ihre Barten.»
Doch wie findet so ein 27 Meter langer Koloss die winzigen Krebstierchen? Um die Krillwolken aufzuspüren, ist das Maul des Finnwals mit Tasthaaren bestückt. Diese sind über feine Nervenbahnen mit einem grapefruitgrossen Sinnesorgan in der Mitte des Unterkiefers verbunden. Wenn diese Schaltzentrale dem Hirn eine dichte Krillwolke meldet, öffnet der Finnwal seinen Schlund und zieht die Zunge zurück. So entsteht ein Unterdruck, wodurch das Wasser samt Beute eingesaugt wird. Nach gerade mal sechs Sekunden ist sein Kehlsack mit gut 70 000 Litern Meerwasser gefüllt, der Wal schliesst seine Lade wieder und stösst das Wasser aus. Nicht einmal eine Minute später bleiben in den Barten gut zehn Kilo Krill zurück.
2003 wollten die Forscher vom Meeresforschungszentrum Scripps im kalifornischen La Jolla die Gesänge der Finnwale studieren. Dazu befestigten sie kleine Kameras mit Saugnäpfen auf dem Rücken der Tiere. Die Kameras lieferten zwar keine Gesänge, dafür jede Menge Daten über ihr Jagdverhalten. Trifft der Finnwal auf einen einträglichen Krillschwarm, bremst er sofort ab und steht innerhalb von nur drei Sekunden vollständig still. Wie er das bewerkstelligt? Er öffnet sein riesiges Maul und schlägt heftig mit der Schwanzflosse. Durch den Widerstand des Wassers und die weitere Beschleunigung weitet sich sein gefurchter Kehlsack auf die vierfache Grösse und wirkt wie ein Fallschirm. Nach dem Stopp umkreist er den Schwarm mit hoher Geschwindigkeit und treibt ihn so zu einem dichten Haufen zusammen, dann legt sich der Wal auf die rechte Seite, um das Maul leichter schliessen zu können, und inhaliert den Schwarm.
Trotz enormem Energieaufwand zahlt sich diese Filtertechnik aus: Der Finnwal nimmt mit jedem Schluck Wasser bis zu 457 000 Kalorien auf – gut das 240-Fache der investierten Energie. Diese Effizienz ist im Tierreich einzigartig. Die Wissenschaftler nehmen an, dass dieser superpositive Energiehaushalt auch der Grund für die Grösse der Furchenwale ist (neben dem Finnwal gehören zum Beispiel auch Blauwal und Buckelwal zu dieser Familie).
Nach 15 Minuten und maximal sechs Schlucken ist Schluss, der Meeressäuger muss auftauchen, um Luft zu holen. Lange bleibt er allerdings nicht oben, schliesslich verdrückt ein Finnwal bis zu 1800 Kilo Krebs und Fisch – pro Tag.