Vom Pfarrer missbraucht
Melanie durchlebte eine furchtbare Kindheit. Sie schüttelte die Dämonen der Vergangenheit jedoch ab, lernte die wahre Liebe kennen – und ist nun glücklich.
Wenn Melanie Hach (51) eine ihrer zehn Kühe mit Namen anspricht und sie neckisch an den Ohren krault, lacht sie so heiter und unbekümmert, als sei sie der fröhlichste Mensch der Welt. Aber ihr Glück ist brüchig. Es reicht der Geruch von Weihrauch oder das Läuten einer Kirchenglocke, und es gibt die andere Melanie. Die, die mühsam nach Luft ringt, wackelige Knie hat und an einer schlimmen Übelkeit leidet. «Es geht mir in solchen Momenten richtig schlecht, und ich bin wieder das kleine Mädchen, das all die Qualen aushalten muss.»
Die Qualen: Das sind die brutalen Vergewaltigungen eines katholischen Pfarrers, der sich regelmässig an ihr vergeht. Das Perfide: Es passiert ausgerechnet in einem Kinderheim, in dem Melanie eigentlich Schutz vor häuslichen Gewalttätigkeiten finden sollte. «Meine Eltern waren beide alkoholkrank und mit uns drei Kindern komplett überfordert. Wir kannten keinerlei Liebe und Fürsorge, nur Gewalt», erzählt Melanie.
Als sie vier Jahre alt ist, reagiert das Jugendamt auf die unhaltbaren Zustände und holt das kleine Mädchen aus der Familie. Melanie kommt in ein katholisches Kinderheim, eine von Nonnen geführte Einrichtung. «Ich bekam als einziges Kind ein Einzelzimmer und merkte schnell, warum. Der Pfarrer wollte mit mir ungestört sein», fährt Melanie mit fester Stimme weiter. «Die Nonnen haben einfach weggesehen, um sich nicht gegen den Geistlichen stellen zu müssen.»
Drei Jahre dauert das unbeschreibliche Martyrium. Als sie mit sieben Jahren wieder zurück in die Familie kommt, hat sie schon keinerlei Hoffnung mehr. «Ich war zerstört − seelisch und körperlich», erklärt Melanie. Noch einmal nimmt sie ihren Mut zusammen und sagt der Mutter, was sie erleben musste. Als Antwort bekommt sie nur zwei Worte: «Selber schuld!» Eine Aussage, nach der Melanie jedes Vertrauen in die Menschen verliert. Sie versucht gar nicht mehr, sich zu wehren. Schliesslich ist ihre Seele so zerbrochen, dass sie nicht mehr spricht.
Melanie findet Hilfe in einer Klinik, sagt aber auch dort kein Wort über den Grund ihrer Sprachlosigkeit. So allein gelassen, lässt sie sich auf einen gleichaltrigen Jungen ein, weil sie nicht mehr weiss, wohin. Mit 21 heiratet sie, bekommt fünf Kinder. Aber die Flucht nach vorn entpuppt sich als Irrtum. «Liebe bekam ich auch von ihm nicht, sondern erneut nur Demütigungen. Er hat mich übelst beschimpft, tyrannisiert und kleingemacht. Ich hatte nie gelernt, mich zu wehren, und nahm alles hin. Ich lebte nach dem mir antrainierten Muster.»
Aber die Liebe zu den Kindern verändert etwas in ihr. Für sie will sie stark sein, eine Zukunft haben. Egal, wie sehr sie gequält wird, tief in ihr keimt der Wunsch nach einem anderen Leben. Sie lernt nachts, wird erst Bürokauffrau, später Fachwirtin im Gesundheitswesen. Alles Schritte, mit denen sie sich aus dem Sumpf aus Gewalt und Erniedrigung kämpft, sich aufrichtet und es hinbekommt, Grenzen zu ziehen.
Mit Mitte 30 trennt sie sich, schafft es erfolgreich, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie geht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit, verlangt beim Jugendamt Einsicht in die Unterlagen. Doch merkwürdigerweise ist ausgerechnet ihre Akte spurlos verschwunden. Melanie wendet sich jetzt an das Bistum, wird zu ihrer Überraschung zum Gespräch eingeladen und bekommt unkompliziert eine Entschädigungszahlung. «Das Geld habe ich als Schuldeingeständnis gewertet. Es macht die Verbrechen nicht ungeschehen, aber es gibt mir das Gefühl, sichtbar zu sein.»
Sichtbar und mutig: Denn sie wagt es, über eine Singlebörse nach einem Partner zu suchen, und lernt den bayerischen Landwirt Hermann (50) kennen. Und von Hermann bekommt sie, was sie noch nie kennengelernt hat − echte, bedingungslose Liebe. «Er hat mit seiner grenzenlosen Geduld und Güte mein Herz geöffnet», schwärmt sie.
Sie zieht mit ihren drei jüngeren Kindern nach Bayern auf seinen Hof und findet dort endlich ihr ganz grosses Glück. «Das Leben in der Natur mit den vielen wunderbaren Tieren hat in meiner Seele einen Schalter umgelegt. Plötzlich konnte ich Momente geniessen und Gefühle zulassen. Ich habe gelernt, in Hermanns Armen zu weinen, aber auch ganz viel zu lachen. Es sind einfach seine Arme, in die ich gehöre.»
Und das Zusammenleben mit Hermann und den Tieren in der prächtigen Natur stärkt sie so, dass sie sich neuerdings zutraut, anderen Betroffenen zu helfen. Sie will eben nicht mehr unsichtbar sein, sondern kämpft jetzt öffentlich um Gerechtigkeit für die Opfer von Geistlichen, bittet mit direkten Appellen die Menschen, hinzusehen, wenn Kinder in Not sein könnten. «Missbrauchsopfer sind lebenslang Opfer», appelliert sie und weiss, wovon sie spricht.