Treue – über den Tod hinaus
Charis’ Blick ist stets in die Ferne gerichtet. Als könnte jeden Moment die Person auftauchen, auf die er seit 21 Monaten unermüdlich wartet: sein verunglückter Besitzer.
Es war der 9. November 2017. Haris Korosis war im Auto unterwegs in sein Zuhause in Nafpaktos im Süden Griechenlands. In einer Kurve kollidierte der 40-Jährige mit einem grossen Gefährt, einem Zementmischer-Lastwagen, wie sich herausstellte. Haris verstarb noch auf der Unfallstelle.
Daheim wartete sein Hund Charis auf sein Herrchen, das einfach nicht mehr auftauchte. Irgendwann machte sich das Tier auf den Weg und fand die rund 20 Kilometer entfernte Unfallstelle. Niemandem ist bekannt, woher er wusste, an welchem Ort sein Besitzer gestorben war, und wie genau er dahin gekommen ist.
Seither verlässt der weisse Mischlingshund die Stelle nicht mehr. Mehrmals versuchten Freunde und Bekannte von Haris, dem Tier ein neues Daheim zu geben. Doch auch wenn noch so gut zu ihm geschaut wurde – Charis lief stets davon und zurück zu der fatalen Kurve. Irgendwann gaben die Anwohner ihre Versuche auf, den Vierbeiner von der Strasse wegzulotsen.
Sie waren jedoch so gerührt von der Treue des Tiers, das seinem Menschen-Freund sogar im Tod nahe bleiben wollte, dass sie Charis nun regelmässig besuchen und sich um ihn kümmern. Sie bringen ihm Fressen und Wasser, haben ihm einen Unterstand gebaut und ihm eine Wolldecke gegen die Kälte hineingelegt. Und zum Andenken an den verunfallten Haris Korosis wurde ein Gedenkkreuz aufgestellt.
Seit 21 Monaten wartet Charis nun schon. Er liegt da und hält Ausschau nach dem verstorbenen Herrchen, als wäre ein Wiedersehen bloss eine Frage der Zeit. Nur bei Regen geht er in sein Häuschen. Wenn die Sonne gerade sehr heiss scheint, sucht er Schatten im nahen Gebüsch.
Wie lange Charis das durchhalten will, weiss niemand. Es gibt immer wieder Geschichten von Hunden, die bis zu ihrem eigenen Tod auf die Rückkehr ihres geliebten Menschen hoffen. Der berühmteste von ihnen ist Hachi aus Japan (siehe Box). Die Geschichte, wie er Jahre nach dem Tod seines Besitzers täglich kam, um diesen wie gewohnt am Bahnhof abzuholen, ist weltbekannt. Sie wurde unter dem Titel «Hachiko: A Dog’s Tale» sogar von Hollywood verfilmt mit Richard Gere in der Hauptrolle.
Inzwischen ist auch Charis über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Nicht unter seinem richtigen Namen, sondern als «griechischer Hachiko».
Vorbild Hachi
Der Akito-Rüde begleitete seinen Besitzer, einen japanischen Professor, in den 1920er-Jahren täglich zur Bahnstation. Der Professor verstarb bei der Arbeit. Hachi kam neun Jahre lang – bis zu seinem eigenen Tod – jeden Tag zur gleichen Zeit, um ihn abzuholen. Hachi wird in Japan verehrt, erhielt den Namenszusatz «-ko», was etwa «Herr» bedeutet.