Gehirntumor
«Nach dem Tod meines Sohnes fand ich zum Glauben»
Paul war erst 24, als er starb. Wenige Tage vorher liess er sich auf der Intensivstation taufen. Nach dem schweren Verlust widmete auch seine Mutter ihr Leben Gott.
Das Zimmer von Paul sieht noch so aus, als hätte er es gerade verlassen. Medaillen glänzen an der Wand. Das Rennvelo und die Paddel stehen bereit. Autobücher liegen aufgeschlagen auf dem Tisch. Manchmal setzt sich Renate Bessler einfach auf sein Bett, beobachtet und betet. In diesen Momenten spürt sie ihren einzigen Sohn ganz intensiv auf einer Ebene, die so schwer zu beschreiben ist. «Der Kanu-Rennsport war seine grosse Liebe», erzählt die 52-Jährige aus Halle (D). Er paddelte jahrelang von Sieg zu Sieg, wurde siebenfacher Weltmeister im Drachenbootfahren. Paul stand auf der Gewinnerseite des Lebens. «Er strotzte nur so vor Gesundheit», erinnert sich seine Mutter.
Und mitten in dieser Glückssträhne wurde Paul plötzlich bewusstlos, bekam danach immer wieder epileptische Anfälle. Kurz darauf erhielt er die Diagnose Gehirntumor. Nach der ersten OP im Sommer 2012 dann der Schock: Der damals 23-Jährige wird nie wieder gesund. «Mein Sohn und ich gingen daraufhin einen ‹Vertrag› ein», sinniert Renate Bessler. «Paul sollte den weiteren Weg selbst bestimmen, wir begleiteten ihn dabei.»
Der Optimist nahm den Kampf gegen den Krebs auf. Sportlich, wie es seine Art war. Doch es hatten sich bereits an vielen Stellen im Körper Metastasen gebildet. Und in dieser schier ausweglosen Situation traf der körperlich und emotional schwer Angeschlagene auf eine Ärztin, die ihn mit dem Glauben vertraut machte. «Auf einmal veränderte sich mein Sohn», berichtet die Mutter. «Er hörte auf zu weinen und meinte, dass er nun alle Last abgibt und weiss, wohin er nach dem Tod gehen wird, dass es hinterm Horizont weitergeht.» Mit Gott hatte Paul früher nichts am Hut. Nun, im Angesicht des Todes, bildete der Glaube ein Rettungsanker.
Am 18. Juli 2013 wurde der Schwerkranke auf der Intensivstation inmitten von lärmenden Apparaten getauft. Wenige Tage später schlief er zu Hause in den Armen seiner Eltern friedlich ein. «Wir stürzten danach in ein sehr tiefes Loch», erzählt Renate Bessler. Ein Jahr lang hatte sie sich Tag und Nacht um ihren Sohn gekümmert, stand mit ihm gemeinsam die dramatische Zeit im Spital durch. Dabei beobachtete sie, wie der Glaube ihm half. «Das sah ich als Zeichen.» In der Kirchgemeinde fand auch sie fortan Halt und immer ein offenes Ohr für ihre Probleme. Ein Jahr nach Pauls Tod liessen sich auch Renate und ihr Mann Frank nach kurzer Überlegung taufen. Sie gab ihren Job als Kindergartenleiterin auf und arbeitet seitdem als Trauerbegleiterin, was sie bis heute nicht eine einzige Sekunde bereut hat. «Ich weiss, wovon ich spreche, wenn es um Verlust, Trauer, Tod und Hoffnung geht», sagt Renate Bessler und schaut dabei zu ihrem Sohn, der auf Fotos im ganzen Haus in Erinnerung bleibt.