Alkohol- und Tablettenabhängigkeit
«Mein langer Weg aus der Hölle der Sucht»
Weil sie alkohol- und tablettenabhängig war, wollte sich Karin umbringen – vier Mal! Sie überlebte. Hier erzählt sie, wie!
Schon frühmorgens setzt sich Karin Gossing (60) an den Schreibtisch und tippt in Windeseile ihre Gedanken in den PC. Heraus kommen wunderbare Gedichte, die die Deutsche bereits in 13 Bänden veröffentlicht hat. «Schreiben ist meine beste Therapie. Die zahllosen Stunden am Computer, sie haben mich gerettet. Ohne sie hätte ich mich längst totgetrunken», sagt die gelernte Zahnarzthelferin offen. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war sie schwer alkoholkrank und tablettenabhängig.
Alles beginnt in der Berufsschule. Von den Mitschülern wird sie wegen ihres kleinen Busens gemobbt. Karin ist damals 17. Ein schüchternes, ruhiges Mädchen, das sehr unter den Angriffen leidet. Sie ist sehr unzufrieden mit ihrem Äusseren, ihrem Auftreten. «Aus lauter Frust kippte ich mein erstes Bier in mich hinein. Danach fühlte ich mich plötzlich leicht, beschwingt.» Sie hatte sogar den Mut, ausgelassen mit Uwe (heute 60), ihrer ersten Liebe, zu tanzen.
Karin mag die Wirkung des Alkohols. Dass sie im Laufe der Zeit immer schlechter schlafen kann, innerlich unruhig und zerrissen ist, schiebt sie aber nicht auf den regelmässigen Alkoholkonsum. Eine Freundin rät ihr zu einem Beruhigungsmittel. Alkohol und Tabletten: Die Wirkung gefällt ihr besonders gut. «Ich fühlte mich prächtig, war richtig selbstbewusst.» Mit Mitte 20 ist sie bereits schwer abhängig.
Uwe, den sie 1983 heiratet, bekommt von all dem nichts mit. Und es wird immer schlimmer. Schon vor dem Aufstehen schluckt sie ein Beruhigungsmittel. Doch sie fühlt sich immer häufiger müde. Dagegen nimmt sie jetzt zusätzlich Aufputschmittel. Abends im Bett braucht sie wiederum ein Schlafmittel, eingenommen mit ein paar Gläsern hartem Schnaps.
Eine Zeit lang geht das gut. Dann spielt ihr Körper nicht mehr mit. Karin bricht am Arbeitsplatz zusammen. Im Spital entdeckt man den Medikamenten-Cocktail im Blut. Man rät ihr zu einer Therapie. Sie willigt ein.
Doch kaum entlassen, greift sie wieder zu Tabletten. «Mein Selbstbewusstsein war auf null. Ich traute mir nichts mehr zu.» Das Ergebnis: Sie glaubt, dass nur noch Pillen ihr Leben erträglich machen und spült sie mit immer mehr hochprozentigem Alkohol hinunter. Körper und Geist bringt der gefährliche Mix komplett durcheinander. Viermal versucht sie sich in solchen Momenten, das Leben zu nehmen. Viermal wird sie gerettet, kommt jedes Mal als suizidgefährdet in eine Klinik. Hier beginnt sie zu malen und erste Gedichte, Kindergeschichten und Kurzromane zu schreiben.
«Das Schreiben wurde zu meinem Rettungsanker. Ich konnte meine Gedanken zu Papier bringen. Das tat mir gut! Ich habe mein Leben in Worten sortiert.» Das erste Buch in den Händen zu halten, stärkt ihr den Rücken, gibt ihr Selbstbewusstsein.
Karin ist heute seit mehr als zwölf Jahren trocken. Sie lebt mit ihrem Uwe zurückgezogen in einer hübschen Dreizimmerwohnung. Ihr Mann ist seit 2012 im Vorruhestand und hat viel Zeit für sie. Karin fühlt sich wohl, mag sich heute so, wie sie ist. Aus Unzufriedenheit zum Alkohol zu greifen, das soll ihr nie mehr passieren.