Gangster kämpft für Frieden
Seine Kindheit war geprägt von Gewalt und Vernachlässigung. Kaum verwunderlich, geriet er auf die schiefe Bahn. Im Gefängnis für Schwerstverbrecher hatte er eine Erscheinung, die sein Leben veränderte.
Seine Tante versuchte, ihn vor der Gewalt und dem Terror zu beschützen, die in den 70er-Jahren in Belfast auf ihrem Höhepunkt waren. Doch es war unmöglich, nicht Zeuge der Konflikte zu werden. So geriet Stephen Gillen als siebenjähriger Bub in einen Tumult und musste zusehen, wie ein junger Mann vor seinen Augen erschossen wurde.
Heute sagt der gebürtige Engländer, dass dieses Erlebnis ihn mürrisch und trotzig machte: «Ich spürte plötzlich eine Dunkelheit in mir.» Hinzu kam, dass seine geliebte Tante starb, als er erst neun Jahre alt war. Er wurde zurück nach England gebracht, kam von einer Pflegefamilie zur nächsten.
Das störrische Kind geriet in falsche Kreise. Mit 14 war er drogensüchtig und kriminell. «Ich war berüchtigt in unserem Quartier und bei den Behörden», erzählt der heute 49-Jährige. Er war mehrfach in Jugendhaftanstalten. «Ich hatte bereits den Stempel einer massiv gestörten und zerstörenden Persönlichkeit.»
22-jährig wurde er von Scotland Yard verhaftet und wegen versuchten Raubes und Schusswaffengebrauchs bei einem vereitelten Banküberfall verurteilt – zu 20 Jahren Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Im Knast fiel Stephen weiter durch sein zerstörerisches Verhalten auf. Oft musste er in Einzelhaft. «Nach mehr als einem Jahr allein in der Zelle war ich am tiefsten Punkt angelangt. Die Jahre im Gefängnis hatten mich jeglicher Gefühle beraubt und meine Menschlichkeit zerschlagen.» Er war nahe am Suizid.
«Genau zu diesem Zeitpunkt überschwemmte mich plötzlich eine Welle voller Trost und Liebe. Sie nahm Besitz von mir und wusch alles Schlechte weg. An dessen Stelle trat eine neue Kraft, die mir Mut gab.» Er ist sicher, dass der Geist seiner Tante Madge ihn aufgesucht hatte, um ihn auf einen besseren Weg zu führen. Stephen bat Gott um Vergebung und gelobte, den Groll, der ihn in diese missliche Lage gebracht hatte, loszulassen. «Ich schwor, mit Gottes Hilfe von nun an ein gutes Leben zu führen.»
2003 kam Stephen nach zwölf Jahren Haft vorzeitig frei. Er hielt sein Versprechen und begann, einer anständigen Arbeit auf dem Bau nachzugehen. «Innerhalb von 18 Monaten wurde ich vom normalen Arbeiter zum Vorarbeiter und schliesslich zum Besitzer meiner eigenen Firma.»
Er lebt nun in Windsor, hat eine Frau und drei Kinder. «Ich habe Daphne alles über meine Vergangenheit erzählt. Trotzdem unterstützt sie mich, wo sie kann.» Das Ehepaar gründete gemeinsam eine Stiftung, um sozial benachteiligte Kinder von der Strasse und von Gang-Aktivitäten fernzuhalten. «Wenn ich mein Leben ändern kann, kann das jeder!»
Für seinen Einsatz wurde Stephen für den Friedenspreis der Vereinten Nationen nominiert. Er traf den UN-Generalsekretär in New York. «Während Jahren kämpfte ich gegen die Dämonen in mir. Nun fühle ich mich wie ein Kämpfer für den Frieden und sehe, warum mein Leben es wert ist, gelebt zu werden.»