Skandal
«Endlich durfte ich die Asche meiner Frau verstreuen»
Erst Monate nach ihrem Tod durfte Franco Del Popolo die beschlagnahmte Urne seiner geliebten Frau Franziska sehen – aber nicht berühren. Ein Skandal, der die ganze Schweiz beschäftigt. Nun konnte er endlich ihren letzten Wunsch erfüllen.
Der Mann schüttelt ungläubig den Kopf: «Sie verbieten mir allen Ernstes, die Urne meiner verstorbenen Frau zu berühren? Und das nach beinahe drei Monaten, seit sie von der Gemeinde Villmergen beschlagnahmt wurde?» Franco Del Popolo (48) ist aufgebracht: «Das ist unmenschlich.» Doch der Gemeindeschreiber, begleitet von seinem Stellvertreter, entgegnet mit versteinerter Miene: «So sind die Vorschriften.»
Gemeindehaus Villmergen, 15. März 2018, 10 Uhr. Franco Del Popolo und der Journalist der GlücksPost werden von den beiden Männern zu einer Tür mit der Aufschrift «Trauungszimmer» geführt. Im Raum steht ein grosser Sitzungstisch, in der Mitte die Urne aus hellbraunem Holz. Del Popolo ist ergriffen: Zum ersten Mal seit der Kremation sieht er die Urne seiner Franziska (†52). Die kühle Stimme des Gemeindeschreibers unterbricht die feierliche Stille: «Hier, bitte, die Urne. Aber wie gesagt, sie darf nicht berührt werden.» Dann ziehen sich die beiden Aufpasser zurück und postieren sich im Korridor.
Der Witwer mit belegter Stimme: «Haben Sie das gehört? Ich darf die sterblichen Überreste meiner Franziska nicht berühren.» Er fasst es nicht – der Journalist auch nicht. Sie setzen sich über das Verbot hinweg und verschieben die Urne an eine Ecke des Tisches, damit Del Popolo mit der Urne und einer Aufnahme seiner Frau, die er eigens mitgebracht hat, fotografiert werden kann.
In Gedanken versunken betrachtet er die Urne lange, schreckt dann auf mit den Worten: «So, jetzt bin ich ruhiger, wir können gehen.» Wie auf Befehl stehen die beiden Beamten in der Türe: «Jetzt haben Sie die Urne doch angefasst.» Da platzt Del Popolo der Kragen: «Wie kommen Sie dazu, mir zu verbieten, die Urne zu berühren? Das Ganze wird auch für Sie, meine Herren, ein Nachspiel haben.»
Bevor die Situation eskaliert, verabschiedet sich Del Popolo. Vom Journalisten um eine Stellungnahme zum eben Geschehenen gebeten, meint der Gemeindeschreiber lakonisch: «Kein Kommentar. Es handelt sich um ein hängiges Verfahren.»
In dieses Verfahren hatte sich erneut die Rechtsabteilung des Kantons Aargau eingeschaltet. Sie verlangte von allen Beteiligten bis 5. April eine Stellungnahme zu den skandalösen Vorfällen rund um die Urne von Franziska Del Popolo (die GP berichtete).
Das mit der Einäscherung beauftragte Bestattungsinstitut in Wohlen muss erklären, wieso es der Mutter und der Schwester der Verstorbenen – auf deren Verlangen – die Hälfte der Asche überliess, ohne die rechtliche Sachlage abzuklären und den Witwer zu informieren. Die Gemeinde Villmergen muss erklären, warum sie Ende Januar die restliche Asche beschlagnahmte, ohne Franco Del Popolo, der zu der Zeit mit einer Lungenentzündung im Spital lag, zu benachrichtigen und ihm zu sagen, dass ein Teil der Asche bereits abgezweigt wurde. Der ganze Skandal wird voraussichtlich ein juristisches Nachspiel haben.
Draussen vor dem Gemeindehaus atmet Del Popolo tief durch und sagt zum Journalisten: «Zum Glück waren Sie als Zeuge dabei. Das hätte mir sonst keiner geglaubt.»
Auch viele Villmergerinnen und Villmerger reagierten ungläubig, als sie in der GlücksPost vom Streit um die Urne lasen.
«Ich kann nicht durchs Dorf gehen, ohne von Leuten darauf angesprochen zu werden: ‹Franco, ist das wirklich wahr? Sind die mit dir so herzlos umgesprungen?›»
Bürger riefen sogar im Gemeindehaus an und machten ihrer Empörung über das unglaubliche Verhalten der Beteiligten Luft. Auf Facebook erklärten sich Menschen aus der ganzen Schweiz solidarisch mit Del Popolo und kritisierten das Verhalten der Gemeinde Villmergen, des Bestattungsinstituts und der Verwandten von Franziska.
Freitag, 6. April, 12 Uhr: Endlich hat Franco Del Popolo die Urne seiner Frau erhalten. Feierlich streut er die Asche seiner Frau in den Villmergerbach. So, wie von ihr gewünscht. Mit tränenerstickter Stimme nimmt er Abschied: «Fränzi, 21 Jahre lang waren wir glücklich. Ich werde dich ewig lieben.» Sinnend sieht er der Asche nach, die vom Wasser weggetragen wird. «Der Tod meiner Frau und das unwürdige Schauspiel aus Lug und Trug danach haben mich verändert. Doch all die Jahre des Glücks mit Fränzi und die Erinnerung an sie spenden mir Trost.»
Dann öffnet er die mitgebrachte Flasche Wein, schenkt sich ein Glas ein und stösst damit mit der Urne an: «So, Fränzi, endlich hast du deinen Seelenfrieden.» Leise lächelnd fügt er hinzu: «Das haben wir uns schon vor Jahren versprochen: Derjenige von uns beiden, der noch am Leben ist, wird nach dem Verstreuen der Asche mit der Urne des geliebten Partners anstossen. So, wie wir schon zu Lebzeiten jeden Abend zusammen ein Gläschen Wein getrunken haben.»
Mit einem letzten Blick auf den munter dahinplätschernden Bach geht er still davon.