Tetraplegie
«Die Beziehung zu beenden, kam nie in Frage»
Von einem Moment zum anderen wurde ihr Partner zum Tetraplegiker. Alexandra Burkart aus dem Kanton Luzern erzählt über diese schwere Zeit – und wie sie trotz allem ihr Glück gefunden haben.
Alexandra Burkart war 24, als ihr Freund Roland Burkart (heute 36) vor zehn Jahren nach zwei Monaten Beziehung durch einen Unfall querschnittgelähmt wurde. Er ist gelernter Maler, stürzte aus zehn Metern Höhe in einen Lichtschacht. Heute gibt sie die Hilfe zurück, die sie selbst erfuhr.
GlücksPost: Sie sind ein sogenannter Angehörigen-Peer im Paraplegiker-Zentrum Nottwil. Was tun Sie dort genau?
Alexandra Burkart: Ich suche das Gespräch mit den Angehörigen, deren Partner oder Kind durch einen Unfall querschnittgelähmt wurde. In so einem Moment nimmt nicht nur das Leben des Verunfallten eine 180-Grad-Wende, sondern auch jener, die mit ihm leben. Ich versuche, ihnen die Angst vor der Zukunft zu nehmen, vor der Verantwortung, die sie tragen, wenn ihr Partner oder Kind vom Zentrum nach Hause zurückkehrt.
Sie schöpfen aus eigener Erfahrung. Vor zehn Jahren verliebten Sie sich in einen Mann, der zwei Monate nach dem ersten Kuss durch einen Unfall zum Tetraplegiker wurde. Wie gingen Sie mit diesem Schicksalsschlag um?
Ich funktionierte wie ein Roboter. Nach der Arbeit und an freien Tagen war ich ständig bei ihm. Als er nach zwei Wochen erwachte, war ich froh, dass er wieder bei Bewusstsein war. Ich wollte alles wissen: wie sich sein Zustand weiterentwickeln wird, was möglich ist, und wie ich ihn unterstützen kann.
Wo bekamen Sie in dieser schweren Zeit Unterstützung?
In Nottwil sprachen wir mit anderen Betroffenen. Wir gingen auch in eine psychologische Beratung. Aber nicht, weil wir als Paar in der Krise waren, sondern weil ich, als es Roland besser ging, plötzlich wahnsinnig Angst hatte, dass ihm nochmals etwas zustossen würde, etwas viel Schlimmeres. Ich hatte Angst, dass er stirbt.
Sie waren erst 24. Haben Sie mit Ihrem Schicksal gehadert?
Natürlich hatte ich schwere Momente, wusste manchmal nicht, ob ich genügend Kraft habe. Ich freute mich, wenn etwas ging und bekam Angst, wenn etwas nicht ging. Aber die Beziehung zu beenden, kam für mich nie in Frage.
In welchen Momenten stiessen Sie an Grenzen?
Nachdem Roland die Klinik verlassen hatte, machten wir einen Kurztrip nach Dublin. Da realisierte ich, wie schwierig alles ist. Er hatte noch keine elektrische Rollstuhlunterstützung, überall gab es Schwellen. Ich half ihm auch beim Darmentleeren, brachte ihn ins Bett und machte die Morgenpflege. Wir mussten uns zudem daran gewöhnen, dass wir vermehrt angestarrt wurden.
In einer Situation, wo der Partner pflegebedürftig wird, gerät die Selbstbestimmung bei beiden aus dem Gleichgewicht. Auch bei Ihnen?
Da eine Balance zu finden, ist ein Prozess, der bis heute anhält. Wir achten sehr darauf, dass beide etwas für den anderen tun. Er macht zum Beispiel das Büro, Rechnungen und Steuern. Ich mache das Pflegerische und koche. Doch es ist immer wieder ein Thema für uns.
Die Gefahr ist gross, dass ein Machtgefälle entsteht.
Das Ziel sollte auf allen Seiten die grösstmögliche Autonomie sein, auch zum Schutz der Beziehung. Mein Partner und ich sind uns gewohnt, nicht alles alleine stemmen zu müssen, für uns ist zum Beispiel die Untersützung durch die Spitex selbstverständich.
Können Sie ohne schlechtes Gewissen Unternehmungen machen, bei denen Roland nicht dabei sein kann?
Ja. Ich gehe regelmässig mit Freundinnen weg, auch mal ins Wellnesshotel. Das ist für ihn in Ordnung, er geniesst es auch, die Wohnung für sich allein zu haben. Distanz kann die Beziehung beleben, das gilt für alle Paare. Viele Partner von Querschnittgelähmten verzichten auf sehr vieles, weil sie sich sonst schlecht fühlen. Doch damit tun sie niemandem einen Gefallen.
Sie sind seit zehn Jahren zusammen. Welches waren bisher die Höhepunkte in Ihrer Beziehung?
Sechs Monate nach dem Unfall konnte Roland mich zum ersten Mal wieder umarmen. Das war wahnsinnig schön. Auch als Roland mich zum ersten Mal von der Arbeit in Bern abholte und den ganzen Weg alleine zurückgelegt hatte. Und natürlich unsere Hochzeit vor einem Jahr. Wir haben immer wieder Glücksmomente, denn wir können vieles sehr bewusst geniessen. Auch freue ich mich immer wieder, dass ich das alles gepackt habe, dass ich das kann.
Buchtipps
Anneliese Keill: «Wenn das Leben um Hilfe ruft – Angehörige zwischen Hingabe, Pflichtgefühl und Verzweiflung» (Verlag Scorpio, Fr. 24.90)
Roland Burkart: «Wirbelsturm» (Edition Moderne, Fr. 25.–)
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