«Der Jakobsweg rettete meinem Pferd und mir das Leben»

Zunächst klang diese Reise nach einer verrückten Idee. Doch trotz Schmerzen und Entbehrungen war es für Andrea und ihre Stute die einzige Chance, die traumatische Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Durch das struppige Fell zeichnete sich jede Rippe ab. Wunden und Narben entstellten die einst schöne Lusitano-Stute. Ihr junges Fohlen sah nicht viel besser aus. Beim Anblick der armen Geschöpfe stockte Andrea Mais (53) der Atem. Dabei ist sie als Betreiberin des «Gnadenbrothofes Ziegenhain» in Ersfeld (D) einiges gewohnt. «Mir bot sich ein Bild des Grauens», erzählt sie ganz erschüttert. Über eine Pferdezeitung war Andrea auf die Tiere aufmerksam geworden. Sie flog nach Sevilla in Spanien, um sich der «schwierigen» Stute anzunehmen. Das Fohlen verkauften die Besitzer. «Aber Manzanilla verhielt sich aggressiv. Sie hatte jedes Vertrauen verloren.» Andrea war ihre letzte Chance vor dem sicheren Tod.

«Ein Pferdetrainer erzählte mir, dass Indianer früher mit ihren Tieren wanderten, um Vertrauen aufzubauen.» So keimte die Idee, mit Manzanilla über den Jakobsweg zurück nach Deutschland zu marschieren. Als Jakobsweg wird eine Anzahl von Pilgerwegen in ganz Europa bezeichnet, die alle das angebliche Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Spanien zum Ziel haben.

Es war eine Reise, die nicht nur die Stute, sondern auch sie selbst retten würde – davon war Andrea fest überzeugt.

Denn die Tierschützerin litt unter einem Burnout, fühlte sich völlig erschöpft, brauchte dringend eine Auszeit. Auf dem Pilgerweg wollte sie endlich wieder zu sich selbst finden. Drei Wochen lang päppelte Andrea Manzanilla auf, bevor es losgehen konnte. Zunächst schaffte das Pferd nur wenige Kilometer pro Tag. Abends band die Reiterin ihr Ross an, legte sich selbst auf eine Isomatte an den Wegesrand. So erarbeiteten sie sich die 1500 Kilometer lange Strecke. Keine leichte Zeit für beide. «Ich habe vier Paar Schuhe durchgelaufen, kämpfte mit Sonnenstich und Blasen.» Aber zu sehen, wie Manzanilla von Tag zu Tag ruhiger wurde und Vertrauen zu ihr fasste, war alle Qualen wert.

Andrea selbst traf unterwegs viele andere Pilger, mit denen sie tolle Gespräche führte. Balsam für ihre Seele: «Ein Pferd auf dem Jakobsweg war eine kleine Sensation. Da begleitete mich häufig jemand für eine Weile.» Nur selten schlief die Deutsche in Herbergen. Zum Waschen ging es unterwegs in Flüsse und Bäche, natürlich gemeinsam mit Manzanilla. Diese besondere Nähe zu ihrem Tier hält Andrea jetzt auch zu Hause aufrecht. Die Stute hat auf dem Gnadenhof ein liebevolles Daheim gefunden und fühlt sich wohl.

Ross und Reiterin konnten alle Qualen der Vergangenheit hinter sich lassen, die ihnen beiden den Lebensmut geraubt hatten. Und für Andrea steht fest: «Ich würde jederzeit noch mal loslaufen, um so einem wunderschönen Tier ein Leben in Würde zu ermöglichen.»