«Das Altersheim war doch nichts für mich»
Mit 102 Jahren zog Martha zurück in ihre eigene Wohnung. Die deutsche Rentnerin geniesst jetzt die Zeit, weil sie wieder selbständig sein kann.
Vor zwei Monaten hob Oma Martha ihre Hand und winkte den Pflegern der Hospitalstiftung in Kaufbeuren (Bayern) zum Abschied noch einmal zu. Raus aus dem Altersheim, rein in die eigene Zwei-Zimmerwohnung – mit 102 Jahren!
Ein Jahr und drei Monate hatte Martha Goth zuvor im Heim gelebt, nachdem sie sich bei einem Sturz im eigenen Garten den Oberschenkel gebrochen hatte. Die vielen Treppen in ihrem Haus wären danach zu gefährlich gewesen.
Aber sie fühlte sich von Anfang an zu jung fürs Altersheim: «Ich durfte da nicht mal selber das Geschirr wegräumen», erzählt sie der «Bild am Sonntag». «Und um mich herum nur kranke und demente Leute. Mit wem soll ich mich da unterhalten?»
Martha Goth zog sich im Heim deshalb immer öfter in ihr Zimmer zurück. Günther (70), einer ihrer vier Söhne, mietete daher im Mehrfamilienhaus, in dem auch er mit seiner Frau Marion (75) lebt, eine Wohnung (975 Euro Miete). Dort schmeisst Martha Goth nun seit einigen Wochen wieder ihren eigenen Haushalt.
Goths Tage sind fest durchgeplant. Aufstehen um sechs Uhr. Dann macht sie Frühstück und anschliessend ein erstes schnelles Nickerchen. Als Nächstes: Tageszeitung lesen – mindestens zwei Stunden lang. Auch Wäsche waschen, bügeln, staubsaugen und Bett überziehen gehören zu ihrem Alltag. Das Mittagessen bringt das Rote Kreuz, aber für den kleinen Hunger zwischendurch brät sie sich auch mal ein Paar Würste oder macht sich Spiegeleier.
Wenn Martha Goth auf ihr Leben zurückblickt, hat sie schon ganz andere Krisen gemeistert als einen Oberschenkelbruch. Krieg, Vertreibung aus dem Sudetenland, der frühe Tod ihres Mannes Max († 66). 1993 starb ihr Sohn Peter mit 39 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Doch trotz aller Rückschläge blieb sie ein Leben lang aktiv und fleissig.
Das Geld war oft knapp. «Ich fädelte für 46 Pfennige in der Stunde Perlen auf Halsketten», erzählt sie. Und viele Jahre arbeitete sie als Reinigungskraft, bis sie vor 42 Jahren in Rente ging.
Aber was braucht man ausser einem eisernen Willen, um in ihrem Alter noch so fit zu sein? Marthas «Geheimrezept»: viel Knoblauch und täglich ein Gläschen guten Wein. Und Bewegung: Goth geht jeden Tag mindestens eine halbe Stunde mit ihrer Gehhilfe spazieren. Ausserdem: «So wenig Medikamente wie möglich. Ich habe meinen Arzt so lange getriezt, ob man die Pillen wirklich alle braucht.» Von dem bekomme sie viel Lob für ihre Disziplin. «Der sagt immer, ich hätte Knochen wie eine 80-Jährige!» Ihr Sohn merkt trotzdem mit einem Augenzwinkern an: «Ihr Velo haben wir ihr am 100. Geburtstag weggenommen!»
Und dann sind da noch ihre acht Enkel und zehn Urenkel, die Oma Martha auf Trab halten. Das Thema Altersheim ist für sie auf jeden Fall erst mal abgehakt. «Schauen Sie mich doch an, dafür bin ich noch zu fit!»