Familiensache ist Ehrensache

Die Trüffelsuche im Piemont ist fest in Männerhand. Frauen sind meist nicht gern gesehen. Dass Bruna akzeptiert wird, hat mit dem Schicksal ihres Vaters Ricardo zu tun.

Von Sonja Hüsler

Wenn ich um 3 Uhr in der Früh auf Trüffelsuche gehe, trage ich Gummistiefel, die mir drei Nummern zu gross sind, mindestens», erzählt Bruna. 

«Dann merkt keiner, dass ich unterwegs war.» Kleine Fussabdrücke würden sie verraten. Die 72-Jährige ist eine der wenigen Frauen in der Region Monferrato im Piemont, die überhaupt auf Trüffel­suche gehen darf. 

Denn eine alte Tradition besagt, dass das Männersache sei. Bruna ist bloss deshalb akzeptiert, weil ihr ­Vater Ricardo ein sehr bekannter Trüffelsucher war. 

Als er einen Hirnschlag erlitt, nicht mehr richtig gehen und einen Arm nicht mehr bewegen konnte, wollte ihm ein Bekannter seinen Trüffelhund abkaufen. Der sei Ricardo ja jetzt nicht mehr von Nutzen. 

«In dem Moment sagte ich mir spontan, dass ich an die Stelle meines Vaters treten werde», erzählt Bruna stolz, «das war vor 40 Jahren.» Denn ihr war klar: Wenn der Hund erst einmal weg ist, wird ihr Vater nicht mehr lange leben. Die Beziehung ­eines «Tartufaio» zu seinem Hund geht weit über eine normale Bindung hinaus. «Sie ist noch grösser als die Liebe zu den Trüffeln.»

Ohne Hunde würden die Männer die kostbaren Knollen in den nebligen Wäldern nämlich niemals finden. Entsprechend inniglich hegen und pflegen sie ihre Begleiter. Als die Trüffelsaison begann, nahm sie ihr Vater sofort in die Pflicht. Doch Bruna wusste nicht, wo sie den Edelpilz ­suchen sollte. «Kiss wird dich zu den Trüffeln führen», versicherte ihr der Vater. Und so war es, Ricardo wartete währenddessen im Auto. 

«Seine Augen strahlten, zum ersten Mal seit seinem Hirnschlag. Für ihn war es das Grösste, wieder im Wald zu sein.» Diese gemeinsamen nächtlichen Exkursionen haben ihn damals trotz seiner Schmerzen am Leben erhalten, ist sich Bruna sicher. 

Ihre Augen füllen sich mit Tränen: «Kurz nachdem mein Vater starb, ist ihm auch Kiss gefolgt.»

Doch zuvor erlebte das Trio intensive Momente, in denen Bruna nicht nur viel über das Wesen ihres Vaters lernte, sondern auch über den Wald und die Natur im Allgemeinen.

Dieses Wissen gehe leider heute langsam verloren, die Gier der Menschen ist laut Bruna zu gross ge­worden. «Mit dem weissen Trüffel aus Alba und Monferrato lässt sich eben ganz viel Geld verdienen.»

Da sich der Edelpilz bis heute nicht kultivieren lässt und es immer weniger regnet, werden immer weniger Trüffel gefunden. Der Klimawandel bedrohe auch das fragile Ökosystem der Pilze, die Feuchtigkeit brauchen, um zu gedeihen.

Umso mehr steigt die Nachfrage: Während früher nur befreundete Wirte den Trüffelsuchern ihre Schätze abkauften, ist es heute auch die internationale Gastronomie. 

Und die bezahlt oftmals viel höhere Preise als die lokalen Restaurants.

«Der Wald wird geplündert», sorgt sich Bruna, «das ist ein grosses Problem. Dazu kommt, dass immer häufiger die Regeln nicht mehr oder nur noch teilweise beachtet werden.»

So habe zum Beispiel jeder Trüffelsucher ein Zeitfenster. Die Älteren, die am längsten dabei sind, machen sich mitten in der Nacht auf die ­Suche: Da stehen ihre Chancen am besten, schöne und grosse Trüffel zu finden, die viel Geld einbringen. Zudem sieht einen dann niemand, und die Fundorte bleiben geheim. 

Diese werden oft nicht einmal innerhalb der eigenen Familie vorzeitig weitergegeben. An Fremde schon gar nicht. Die Jungen dürfen seit jeher nur tagsüber los. Doch diese halten sich nicht mehr an die Regeln. 

Bruna seufzt: «Es werden sogar Hunde vergiftet, weil sich die Leute den Erfolg und das Geld neiden.»

Den wunderbar duftenden Pilz aufzuspüren, ist die eine Sache –  ihn auch unversehrt aus der Erde zu holen, wieder eine ganz andere. Nur wenn der Trüffel keinen einzigen Kratzer hat, wird ein guter Preis bezahlt.

«Darum lasse ich meine Setter­hündin Chinfra ab und zu einen kleinen Trüffel fressen», lächelt Bruna, «sie soll spüren, dass ich ihr dankbar bin für ihre gute Nase.»

Man merkt, dass bei ihr nicht das Geld im Vordergrund steht: Der weisse Trüffel ist eine Herzensangelegenheit. Bruna liebt die Suche und den Wald, auch wenn es manchmal sehr viel Mut kostet, im Dunkeln hindurchzulaufen. «Doch ich bin die Tochter von Ricardo», sagt Bruna, «seinem Namen gebührt Ehre.»