Das Zurückziehen fällt ihm schwer

Beruflich geht es dem Schauspieler so gut wie nie. Er spielt das ganze Jahr Musicals – ein Traum. Doch neben dem Strahlemann gibt es auch den nachdenklichen WAM, der seinen grossen 
Beliebtheitsgrad gar nicht fassen will und kann.

Das schönste Geburtstags­geschenk sei es, sein ganzes 71. Lebensjahr nur mit Produktionen zu verbringen, die ihm am Herzen liegen. Das sagt ein fröhlicher WAM auf der Bühne des Theaters St. Gallen, wo er im Frühsommer und im Herbst im Musical «Don Camillo & Peppone» mitspielt. Im Hochsommer ist er für das Musical «Sugar» an den Thunerseespielen engagiert. Für beide Produktionen ist Walter Andreas Müller das «Cervelat-Zugpferd», wie er es nennt: der bekannte Name, der Zuschauer locken soll.

Er liebt es. «Die Musik war immer ein Traumziel», sagt der Schauspieler und Moderator zur GlücksPost. «Jetzt ist sie durch die Hintertür in mein Leben gekommen. Ich stehe auf der Bühne und singe!» Eigentlich wäre der Rei­sefan im Juli und August gerne nach Südafrika gegangen. «Aber als Thun anfragte, konnte ich nicht Nein sagen.»

Was viele nicht wissen: WAM ist oft allein unterwegs. Sein Partner, den er vor bald 30 Jahren am Theater kennenlernte, ist körperlich nicht mehr so fit. Auch auf den grossen Reisen, die WAM so gerne unternimmt, ist er oft ohne Begleitung. «Ich bin froh, dass mir das nichts ausmacht», sagt er.

Ihm fällt die Sache mit dem «verflixten Zurückziehen» grundsätzlich schwer. Sein Finanzberater neckt ihn, wozu er noch so viel arbeite. Wenn er so weitermache, käme er ja gar nie dazu, sein Geld auszugeben.

Doch der Künstler will nicht rasten. Er weiss, wohin das führen kann. Sein Vater starb mit 80 Jahren an den Folgen von Demenz. «Als er mit 65 pensioniert wurde, plötzlich nichts mehr zu tun hatte, ging es schnell bergab.» Er gleiche seinem Vater zwar äusserlich. «Ich glaube aber, ich bin schon rüstiger als er und immer noch sehr aktiv – ich bin überzeugt, dass das viel ausmacht.» Seine Mutter pflegte den Vater zu Hause. «Am Schluss war man nicht mehr sicher, ob er überhaupt noch etwas wahrnahm. Ich hielt oft seine Hand und sagte ‹Drück mich, wenn du mich hörst.› Er reagierte nie.»

WAMs Mutter lebt mit 93 Jahren noch in ihrer eigenen Wohnung. «Sie ist eigentlich meine Stiefmutter. Seit ich elf Jahre alt bin, hat sie mich erzogen, mir alles gegeben, was ich heute bin. Ich glaube nicht, dass man eine leibliche Mutter mehr lieben kann.» WAM ist jede Woche zweimal bei ihr zu Besuch. Ob er die Gene seiner Mutter oder seines Vaters geerbt hat, kann er nicht sagen. An seine leibliche Mutter erinnert er sich zwar noch, aber zu wenig, um das beurteilen zu können. Und an das, was ihm sein Vater vererbt haben könnte, denkt er je länger desto weniger gern.

WAM der Rastlose, Vielbeschäftigte pflegt neben seinen vielen Engagements sein Erdhaus im Zürcher Oberland und führt den Haushalt. Er kann sich sehr gut vorstellen, dieses Heim, das er so lange liebte und genoss, irgendwann gegen eine Stadtwohnung einzutauschen. «Der Gedanke ist verlockend, in einem Loft im 20. Stock zu wohnen mit einer Terrasse über Zürich. Wenn ich einkaufen oder ins Theater will, muss ich nur den Lift nehmen. Ich hätte schon immer gern als anonymes Ameisli in der Stadt gewohnt.»

Ob sich WAM da nicht täuscht, bei seinem Bekanntheitsgrad? Manchmal wird man das Gefühl nicht los, der beliebte Schauspieler, sei sich nicht bewusst, wie sehr ihn die Leute schätzen. Er war völlig überrascht, als seine Kollegin Hanna Scheuring für ihn eine Matinée zum 70. Geburtstag ausrichtete. «Ich war so gerührt. So viele liebe Menschen waren da, die nur wegen mir am Sonntagmorgen nach Zürich reisten. Manche sogar aus dem Ausland!»

Bei WAM zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie bei den Schweizer Schauspiel-Legenden Stephanie Glaser († 90) und Jörg Schneider († 80), die aufs Alter hin immer beliebter wurden. Auch er hat weit mehr Angebote, als er annehmen kann. Das Einzige, was noch fehlt, ist eine grosse Kinorolle. Doch so wichtig wie auch schon, ist ihm die nicht mehr. Und das Letzte, was WAM möchte, ist mit Preisen für sein Lebenswerk ausgezeichnet zu werden. «Ich bin kein Star. Ich mache nur meinen Job und bin froh, dass die Leute das mögen. Ich erinnere mich an Auftritte von Kolleginnen und Kollegen, die sich bei der Vergabe des ‹Prix Walo› oder des ‹Swiss Awards› aufführten, als wäre es der ‹Oscar›. Das empfand ich als höchst peinlich. Mir wird das nicht passieren.»


Seine Rolle ist der «Nonno», der Grossvater. «Da muss ich nicht zu viel tanzen.»

Seine Rolle ist der «Nonno», der Grossvater. «Da muss ich nicht zu viel tanzen.»

Sieht das Leben durch eine neue Brille: WAM ist kurzsichtig geworden.

Sieht das Leben durch eine neue Brille: WAM ist kurzsichtig geworden.