Erika Hess-Reymond
Verzaubert von ihrer «petite fleur»
Endlich Oma! Die Ski-Legende hatte sich auf den Moment gefreut, in dem sie ihr erstes Enkelkind im Arm halten darf. Ihr ältester Sohn Fabian erfüllte ihr diesen Wunsch genau zur richtigen Zeit.
Letzten Mai kam sie zur Welt und erfüllt ihre Grossmutter seither mit Freude und Glück. «Ma petite fleur» (meine kleine Blume) nennt Erika Hess-Reymond (58) ihr erstes Enkelkind und streichelt ihm sanft über die Wange. Chloé (10 Monate) ist die Tochter ihres ältesten Sohns Fabian (31) und seiner Frau Delphine (31).
Wir treffen die Rekord-Skirennfahrerin (sechs WM-Titel) im Geburtshaus ihres Mannes und Ex-Trainers Jacques Reymond (69) in Les Bioux VD, im Vallée de Joux. «Das war unsere erste gemeinsame Wohnung», erzählt er. Seit fünf oder sechs Generationen sei das Haus im Besitz der Familie – die Vorfahren waren Uhrmacher, das Vallée ist ein Zentrum der Uhrenindustrie. Auch Jacques lernte Feinmechaniker, bevor er in den Skizirkus wechselte.
Bei einem Ausflug an den wenige Minuten entfernten Lac de Joux berichtet Jacques, dass der See bis vor zwei Jahren jeden Winter zugefroren gewesen sei. «Als Kinder sind wir hier Schlittschuh gelaufen, das war unser Spielplatz.» Auch die drei Söhne von Erika und Jacques lernten hier auf den Kufen fahren. Und natürlich ebenfalls auf den Ski. Denn auch wenn es gerade nicht so aussieht: Das Vallée ist eine beliebte Schneesport-Destination. Während des Spaziergangs stimmt immer wieder jemand ein Lied an und alle singen mit. «Wir singen gerne und oft zusammen», sagt Erika. Die Reymonds lieben die Natur. Jacques zeigt auf ein grosses Waldstück am gegenüberliegenden Ufer des Sees. «Wir gehen da jeweils Beeren und Pilze sammeln, das ist unser Familienhobby.»
Neben dem Skifahren natürlich: Alle drei Söhne versuchten sich im Skirennsport. Marco (26), der Jüngste, ist der Einzige, der noch aktiv ist – zurzeit aber wegen einer Verletzung pausieren muss.Fabian hat aufgehört, «weil ich irgendwann realisiert habe, dass ich einfach zu wenig gut bin». Er ist nun als Helikopter-Pilot bei Air Glacier tätig. Ski ist nach wie vor ein Hobby neben diversen anderen Sportarten. Er wird nach dem Besuch der GlücksPost sein tägliches Jogging-Programm absolvieren mit einem abschliessenden Bad im acht Grad kalten See.
Auch Chloé war schon Ski fahren – auf dem Rücken ihres Papas beim Langlauf. «Es ist noch zu früh, sie auf eigene Ski zu stellen», meint Fabian. Seine Frau Delphine teilt die Passion ihres Mannes zum Glück – wenn auch nicht so häufig. «Ski war stets der einzige Sport, den ich am Fernsehen verfolgt habe. Deshalb stört es mich nicht, wenn er ständig Rennen schaut.»
Zurück im Haus schaltet Jacques den Fernseher an. Es läuft die Herren-Kombination in Hinterstoder (A). Mit Chloé auf dem Schoss kommentiert der einstige Cheftrainer der Männer-Nati die Resultate. Die Kleine schaut gebannt auf den Bildschirm. «Wenn sich etwas bewegt, interessiert sie das», weiss ihr Opa. Bis seine Frau mit einer Box Duplo-Bausteinen kommt und sich auf dem Boden in ein Spiel mit ihrer Enkeltochter vertieft. «Die kleine Chloé ist ein Sonnenschein, ein wunderbares Geschenk. Und wir haben Glück, dass Delphine und Fabian uns die Kleine ab und zu anvertrauen», schwärmt Erika.
In der gemütlichen Familienküche tischt sie später eine Suppe auf – aus einem Kürbis vom eigenen Garten. 18 Kilo schwer sei er gewesen. Dazu gibt es Käse aus der Region: einen Tomme, der schon auf dem Holzplättchen zerläuft, und einen ebenfalls sehr weichen Vacherin. «C’est bon, non?» Jacques wechselt häufig zwischen Deutsch und Französisch.
Er und Erika sind schon vor langer Zeit ins knapp eine Stunde entfernte Saint-Légier gezogen, wo sie heute noch ansässig sind. Marco wohnt bei den Eltern am Genfersee. «So kann er von unserer Unterstützung am besten profitieren und Arbeit und Sport kombinieren.»
Erika trat 1987 im Alter von 25 Jahren – nach der Meinung vieler zu früh – vom Spitzensport zurück. Doch für sie war er zur Belastung geworden. Dem Druck und den Erwartungen wollte sie sich nicht länger aussetzen. Und sie hatte sich schon immer eine eigene Familie gewünscht. «Für mich war das Ende meiner Karriere eine Riesenerleichterung», gesteht sie. «Ich genoss das erste Jahr danach so sehr! Endlich nichts mehr müssen, nur dürfen. Endlich mich selber sein können!»
Jacques trat acht Jahre nach seiner Frau zurück. «Mit drei Kindern ging das nicht mehr, dass ich rund elf Monate im Jahr weg von zu Hause bin», erklärt er. Zusammen hat das Paar danach Skicamps für Jugendliche organisiert. «In über 30 Jahren haben wir rund 20 000 Jugendliche betreut», erläutert Jacques. «Unsere Erfahrungen als Trainer und Athlet und auch als Eltern haben uns dabei sehr geholfen.»
Ende 2018 haben sie die Camps eingestellt. «Es war eine wunderschöne Zeit», erinnert sich Erika. «Doch es wurde uns einfach zu viel. Wir veranstalteten bisweilen 13 Camps à fünf Tage pro Jahr. Das war ganz schön anstrengend und eine enorme Verantwortung. Nun haben wir wieder Zeit für uns. Und es war ein wunderbarer Übergang, dass genau in dieser Zeit Chloé zur Welt kam. Ich freute mich riesig», sagt Erika strahlend in ihrem breiten Nidwaldnerdialekt.
Jetzt geniessen die beiden ihre neu gewonnene Freizeit mit ihrer Familie und ausgedehnten Segeltörns. Jedes Jahr sind sie mit einer kleinen Gruppe von Freunden auf Seen und den Weltmeeren unterwegs. «Wir waren schon auf den Malediven oder in Guadeloupe mit dem Segelschiff», erinnert sich Jacques. Und sie haben ein Ferienhaus in der Ardèche in Südfrankreich, wo sie im Sommer viel Zeit verbringen und die diversen Sportmöglichkeiten der Umgebung nutzen. Nun können sie auch endlich ein paar lange aufgeschobene Reiseträume verwirklichen: «Ich war noch nie in Moskau, da möchte ich unbedingt mal hin», freut sich Jacques.
Der Kontakt zur Skiszene ist allerdings nach wie vor da mit den drei «Erika Hess Open»-Rennen Ende Februar und Anfang März. «Ich hätte nie gedacht, dass mich das Skifahren mein ganzes Leben begleiten würde. Aber ich fühlte mich immer wohl», sinniert Erika. Jacques hatte nach seinen Erfolgen mit der Schweizer Ski-Nati Angebote aus den USA und Frankreich, die er alle abgelehnt hat. Er fügt an: «Das war eine gute Entscheidung. Im Leben kann man immer verschiedene Wege gehen. Aber wenn wir heute zurückschauen, können wir sagen: Wir haben es richtig gemacht.»