Nik Hartmann
«Normal ist langweilig»
Die letzten Monate waren für den TV-Moderator turbulent. Beruflich hat er viel zu tun, und privat stellte ein Unfall seiner Frau das Familienleben mit den Söhnen Constantin, Frederik und dem zerebral behinderten Melchior auf den Kopf.
Zack, zack, zack! Nik Hartmann (50) schneidet den Sellerie in der Geschwindigkeit eines Profikochs. Währenddessen formt Sohn Frederik (17) aus selbstgemachtem Teig Brötchen, und der 20-jährige Constantin würzt Hackfleisch. Dazwischen huscht Carla Cerletti (50) kurz in die Küche, um einen Brei fürs jüngste Familienmitglied, den zerebral behinderten Melchior (14), vorzubereiten.
Viel Trubel im Hause Hartmann am Zugersee! Doch abgesehen von einer Ladung Salz, die am Boden landet, scheint es ein geordnetes Chaos zu sein. Eine eingespielte Küchenbrigade? «Wir kochen in unterschiedlichen Konstellationen; dass wir es aber alle zusammen tun, ist schon eher selten», sagt Nik Hartmann. Im Alltag stehe meist Carla am Herd, am Wochenende er. Und zwischendurch immer mal wieder die Kinder. Die Leidenschaft fürs Kochen haben sie übernommen. «Früher durften wir mithelfen, und irgendwann haben wir dann selbst damit angefangen», erinnert sich Constantin, der im Herbst sein Studium (Germanistik und Kunstgeschichte) beginnt und aktuell bei der Spitex als Fahrer arbeitet. Heute zaubert das Trio Hamburger und einen von Niks kulinarischen Dauerbrennern: ein Linsen-Curry, frei nach einem Rezept des Sternekochs Andreas Caminada.
Mit ihm spannt der Moderator und Co-Leiter der Abteilung Eigenproduktionen TV National bei CH Media gerade wieder beruflich zusammen: «MasterChef Schweiz» geht in die zweite Runde (ab 9. 5., dienstags, 20.15 Uhr, 3+). In der Show müssen Hobby-Köchinnen und Köche von der Jury gestellte Aufgaben meistern. Die Starköche Andreas Caminada, Nenad Mlinarevic und Elif Oskan hätten eine höhere Erwartungshaltung an den Tag gelegt als letztes Jahr, sagt Hartmann. Ihr Urteil sei strenger, die Abgrenzung nun klarer: Die Jury ist kulinarische Autorität statt «gut Freund». Er selbst als Moderator dafür noch näher an den Kandidatinnen und Kandidaten dran. «Ich halte das Ding zusammen – wie hier auch. Ich bin quasi der Familienvater von ‹MasterChef›: So sehe ich meine Rolle.»
Im privaten Bereich ist die «Rolle» des Familienvaters für ihn natürlich viel mehr als das – sie ist seit 20 Jahren der wichtigste Teil seines Lebens. Das war schon so, als er sich ab 2008 bei SRF in die Herzen des TV-Publikum wanderte, und hat sich seit seinem Jobwechsel 2020 nicht geändert. Zu SRF-Zeiten war er oft tage- oder wochenlang am Stück auf Wanderschaft, dafür dazwischen viel zu Hause. Wie sieht es jetzt aus, wo er zuletzt «nur» noch für «Abenteuerlustig» mit Claudio Zuccolini auf Reisen war? «Mein Berufsleben hat sich stark verändert. Aber meine Vorstellung, ich würde weniger unterwegs sein, war falsch», sagt er. «Jetzt bin ich tagsüber meist in Zürich, habe abends oft noch Termine. Die Familienzeit muss ich mir bewusst nehmen, aber diese Freiheit habe ich.» Er sei sehr zufrieden, bedauere den Jobwechsel nicht: «Ich schaue nie zurück, das ist langweilig.»
Trotzdem: Ganz sorgenfrei geht er momentan nicht durchs Leben. «Das Jahr 2023 war bisher ziemlich hart für uns, belastender als auch schon.» Sohn Frederik litt die letzten Monate an starkem Asthma, musste deshalb seine Lehre als Anlage- und Apparatemonteur in einer Werft eine Zeitlang unterbrechen. Und Carla riss sich im Januar bei einem Sturz zwei Sehnen in der Schulter. Ein Unglück, das das Familienleben erst einmal auf den Kopf stellte. Denn wegen der Behinderung von Melchior ist Organisation bei den Hartmanns alles – und die galt es nun schnellstmöglich anzupassen. Carla ist in ihren Bewegungen eingeschränkt: Ihren Sohn, der nicht gehen kann, zu tragen, ist undenkbar, und die Hausarbeit schwieriger geworden. Nik: «Da springen liebenswürdigerweise dann auch mal meine Eltern ein und unterstützen uns.»
Melchior besucht eine heilpädagogische Schule, übernachtet zweimal pro Woche dort und ist ansonsten daheim, wo sich nicht nur die Familie um ihn kümmert. «Carla hat einen Stab von Helfenden organisiert, die Melchior als Assistenten hat – das ist eine Möglichkeit, die unser IV-System bietet», erzählt Nik Hartmann beim Zmittag. «Er braucht 100 Prozent Unterstützung, wir werden in gewisser Weise immer etwas mehr gebraucht werden als andere Eltern.» Frederik und Constantin packen tatkräftig mit an. «Ich denke oft, dass sie schon viel mehr daheim helfen müssen als Gleichaltrige. Aber wir haben stets versucht, auch ihnen genug Zeit zu schenken.» Dazu gehören Ferien zu viert: Im Sommer etwa geht es nach Dänemark. Melchior darf derweil bei Verwandten und Freunden bleiben. «Dann merken wir jeweils, wie langweilig normal alles plötzlich ist. Und nach einer Woche vermissen wir ihn extrem.» Nach zwei Stunden, korrigieren Frederik und Constantin.
Wie ist es für die beiden, mit einem Bruder wie Melchior aufgewachsen zu sein? Fehlte ihnen die Aufmerksamkeit der Eltern? «Das nicht unbedingt», erzählt Constantin, «aber klar denkt man manchmal: Es wäre jetzt angenehmer, wenn ich so frei wäre wie meine Kollegen. Aber ich mache das ja nicht nur für meine Eltern, sondern auch für Melchior. Er gibt uns viel zurück – die Freude, die er ausstrahlt.» Sein Vater nickt: «Wenn er lacht, dann weisst du, es kommt von Herzen. Bei ihm ist nichts Fake.»
Die Verantwortung für Melchior dürfte die Sozialkompetenz seiner Brüder gestärkt haben. Nik Hartmann: «Ich denke schon. Sie haben eine grosse Empathie und registrieren schnell, wenn jemand Hilfe braucht. Wobei das sicher auch im Naturell von uns liegt. Ich sage immer: Melchior hat sich uns als Familie wohl ausgesucht.» Der Moderator scheint stolz auf seine Jungs zu sein. «Sehr. Speziell wenn sie Eigeninitiative zeigen und ich merke, dass sie ihr Leben im Griff haben.»
Was ist für die Jungs das Beste, was ihre Eltern ihnen mitgegeben haben? Ihre Offenheit, sagt Frederik, dass sie gerne Menschen um sich haben und helfen. Und Constantin fügt an: «Drei Jungs grosszuziehen, von denen einer behindert ist, das ist schon eine Aufgabe. Ich hatte nie das Gefühl, dass es für sie ein Problem ist. Das finde ich bewundernswert. Und sie haben uns immer bestärkt, das zu tun, was uns Freude macht.»
Bestärkt und wohl auch vorgelebt! Nik Hartmann liefert aktuell gerade den Beweis dafür: Er hat letztes Jahr angefangen, an der Hochschule Luzern Jazz zu studieren. Seit er 20 Jahre alt war, hat ihn dieser Wunsch nie losgelassen. «Wenn ich etwas im Leben richtig gut konnte, war das Querflöte spielen», sagt er. «Aber ich habe das irgendwie weggeworfen, bin mir da untreu geworden.» Damals hätte er damit aber wohl auch keinen Franken verdienen können, räumt er ein. Heute studiere er aus purem Interesse, und es sei eine extreme Bereicherung für sein Leben. Aber fehlt es ihm mit Familie und Arbeit nicht an der Zeit? «Nein. Menschen, die sich so etwas überlegen, kann ich nur raten: Tut es, denn es schenkt dir Energie für anderes. Wenn ich aus der Hochschule rauslaufe, habe ich immer das Gefühl: Jetzt ist alles gut!»
Inzwischen ist der Zmittag gegessen, Frederik und Constantin gehen ihrer Wege. Der Ältere wohnt in der Einliegerwohnung des Einfamilienhauses, will nächstes Jahr in eine WG nach Zürich ziehen. Keine Angst vorm Loslassen? «Doch», platzt Carla Hartmann heraus. Nik schüttelt denn Kopf. «Ich weiss ja, wie es bei mir war: Irgendwann will man gehen. Mal schauen, wie es dann bei Melchior wird, wenn er volljährig ist. Da gäbe es ja Institutionen, doch das werden wir dann sehen. Irgendwann wird man halt auch als Familie älter, alles im Leben verändert sich. Ich hoffe, dass wir immer genug flexibel bleiben – und dass es den Kindern einfach gut geht und sie glücklich sind. Das ist die Hauptsache.»