Nella Martinetti: «Ich weiss, dass ich bald sterben muss»

Seit zwei Wochen weiss die Tessinerin, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist. Trotz dieser niederschmetternden Diagnose will sie gegen die Krankheit kämpfen. Tapfer sagt sie: «Ich gebe die Hoffnung nicht auf.»
 
Das Telefongespräch, das ich an diesem traumhaften Spät-Sommertag mit Nella Martinetti (64) führte, war anders als üblich. Wenn man Nella anruft, weiss man nie, ob es ihr gut geht oder ob sie wieder irgendwelche Schmerzen plagen. Doch diesmal tönte bereits ihre Stimme unheilschwanger. «Ich bin im Spital Männedorf. Mir geht es gar nicht gut», sagte sie mit tiefer und trauriger Stimme. «Ich habe Krebs. Ich weiss, dass ich bald sterben muss.»
 
Dieser Satz trifft mich wie ein Hammerschlag. Mir verschlägt es für einen Moment die Sprache. Krebs? Schrecklich! Aber was sagt man in einem solchen Moment? Ich kenne Nella seit Jahren, in denen sie fast zur Freundin wurde. Aber jetzt? Ich bin völlig konsterniert. Sachte taste ich mich an das heikle Thema heran. «Ja, weisst du denn, was es für ein Krebs ist? Ist dieser Krebs wenigstens heilbar?» – «Nein», sagt sie auf den Punkt. «Es ist Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Der Doktor hat es mir klar gesagt: Dieser Krebs ist nicht heilbar. Meine Lebenszeit ist jetzt sehr beschränkt.»
 
«Ja», bestätigt wenig später Nellas Arzt, Dr. Peter Jaklin (47), Facharzt Gastroenterologie, Hepatologie und Innere Medizin, Leitender Arzt im Spital Männedorf ZH. «Ja, Frau Martinetti leidet an einem Pankreas-Karzinom. In der Form, wie bei Frau Martinetti festgestellt, ist der Tumor leider nicht operabel. Und es besteht auch keine Aussicht auf Heilung. Wir konnten bei unseren Untersuchungen auch Metastasen in der Leber feststellen.»
 
Eine tödliche Diagnose. Als ich Nella anderntags im Spital besuche, traue ich meinen Augen nicht. Perfekt gestylt und guten Mutes sitzt sie auf der Restaurant-Terrasse des Spitals beim Apfelsaft – und strahlt.Todgeweihte sehen anders aus. Nella wirkt total gelassen und cool. «Ich habe 13 Kilo abgenommen», freut sie sich. «Ich hatte einfach überhaupt keine Lust mehr, etwas zu essen. Nicht mal meine geliebte Salami und der Parmaschinken schmeckten mir. Seit über einem Jahr habe ich auch keinen Tropfen Alkohhl mehr getrunken. Trotzdem möchte ich nicht noch mehr abnehmen. Sonst sehe ich auf einmal ganz alt aus.» Und, plötzlich ganz fröhlich: «Seit gestern habe ich wieder Appetit.» Ihr Aussehen, das ist für Nella Martinetti noch immer sehr wichtig. «Ich möchte, dass meine Frisur schön sitzt. Zudem will ich mich deshalb schön schminken, weil ich mich gut fühlen will. Ich bin zwar jetzt ‹alt und wüäscht›, aber ich möchte nie schlampig wirken, sondern auch dann noch gut aussehen, falls ich einmal nur noch im Krankenbett liegen könnte. Zumindest sollte mich die Öffentlichkeit nur so sehen können. Deshalb habe ich jetzt auch ein neues Parfüm entdeckt. Neue Düfte, neue Farben, neue Fingernägel, das alles musst du für dich selber machen, weil du dich in deiner Haut einfach wohlfühlen musst.»
 
Nella – eine starke Frau. «Morgen kann ich nach Hause, nächste Woche starte ich mit der Chemo- Therapie.» Zuhause ist sie nicht alleine; ihre langjährige Freundin Marianne, mit der Nella in einer schmucken Attika- Wohnung lebt, wird sie betreuen. «Ich werde gegen diesen Krebs kämpfen. So schnell gibt eine Nella Martinetti nicht auf», sagt Nella entschlossen. Von ihrer Krankheit spürt man nichts.
 
Das war vor ein paar Tagen noch ganz anders. «Als sie hier in der Klinik ankam, litt Frau Martinetti unter grössten Schmerzen», sagt Dr. Jaklin. «Wir haben sie so behandelt, dass sie jetzt schmerzund beschwerdefrei ist. Ab nächster Woche erhält Frau Martinetti in unserem neuen Onkologie-Zentrum, das vier Krebs-Spezialisten beschäftigt, eine palliative Chemo- Therapie. Mit anderen Worten klar ausgedrückt: Ihr Krebs kann nicht geheilt werden, aber ihre Lebensqualität können wir damit stark verbessern.» Mit der Chemo- Therapie kann für eine gewisse Zeit eventuell das Wachstum des Tumors aufgehalten werden. Oder es kann die Ausbreitung des Tumors verlangsamen. Dr. Jaklin: «Über die Dauer der Behandlung kann man nichts Konkretes sagen. Aber eines ist sicher: Die Lebenszeit von Frau Martinetti ist begrenzt. Als Arzt kann man sich nie auf eine Zeit festlegen. Man kann nur die Vorstellung davon vermitteln, indem man auf Krankheitsverläufe von Prominenten wie etwa Luciano Pavarotti und Patrick Swayze verweist. Wichtig ist, den Patienten in der Zeit, die er noch hat, zu begleiten und die Lebensqualität zu erhöhen.»
 
Selbst jetzt, im Angesicht des Todes, hat Nella ihren Humor nicht verloren. Ihre Autobiografie, geschrieben von Gabrielle von Arx, heisst «Fertig lustig». Wie sieht Nella im jetzigen Zeitpunkt diesen Buch-Titel? «Fertig lustig? Nein! Man kann, ja, man muss lustig sein, um weiterkämpfen zu können!»
 
Stichwort kämpfen. «Einerseits bin ich ein Ross», lacht sie. Um gleich danach ganz ernst zu werden. «Aber ich bin auch realistisch. Ich war immer ganz radikal in meinen Ansichten. Ich bin immer sarkastisch und makaber gewesen. Man muss auch den Humor suchen und finden, in welcher Situation man sich auch immer befindet.»
 
Ist Nella in dieser schwierigen Krankheits-Situation gläubig? Sie wird dabei ganz ernst: «Gläubig? Nein! Aber ich habe einen Schutzengel. Der hat mich immer wieder beschützt wiezumBeispiel, als ich im Auto einmal knapp einem Vollcrash entkommen konnte. Als Katholikin habe ich früher sehr viel Kraft aus meiner Religion geschöpft. Ich liebe die Natur, die Gott geschaffen hat. Ich denke, dass Gott vollkommen sein müsste. Aber so hat er uns leider nicht gemacht; die Menschen sind nicht vollkommen!»
 
Dann kommt sie ins Philosophieren. «Wiederauferstehung oder Wiedergeburt? Es ist durchaus denkbar, dass wir nach dem Tod weiterleben. Als ich letzte Woche aus der Narkose erwachte, hatte ich das Gefühl, gestorben zu sein und jetzt wieder aufgeweckt zu werden. Für mich tröstlich ist, dass dieses Gefühl ein ganz schönes war.»
Lesen Sie hier, wie Nella im Tessin Abschied nahm.