Erika Reymond-Hess
«Ich lerne jetzt, allein zurechtzukommen»
Es ist nicht ihre Art, im Selbstmitleid zu versinken. Den Tod ihres Mannes sieht die Ski-Legende deshalb nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance, sich weiterzuentwickeln.
Sie klingt aufgestellt und ausgeglichen am Telefon, lacht immer wieder herzlich. Diese Woche habe sie im Haus der Familie im Vallée de Joux den Frühlingsputz gemacht, erzählt Erika Reymond-Hess. Dann habe sie einen Tag lang Büroarbeiten erledigt. «Als das getan war, musste ich etwas Sport treiben und Dampf ablassen. Das brauche ich – ebenso wie das Lachen.»
Am 7. Mai ist der erste Todestag ihres Mannes Jacques Reymond († 69). Der ehemalige Schweizer Nati-Skitrainer starb letztes Jahr an einer Corona-Infektion. Gerade hatte das Paar alles in die Wege geleitet, um sich ins Privatleben zurückzuziehen und die Zeit mit der wachsenden Familie zu geniessen. Das Schicksal hat anders entschieden. Erika trägt das mit bewundernswerter Fassung. Es widerstrebt ihr, ihr eigenes Los zu dramatisieren: «Ich kenne Leute, denen geht es sehr viel schlechter, als mir», betont sie.
Es gebe schon Zeiten, in denen sie verzweifeln könnte, und es gebe auch Momente des Haderns: «Doch das tue ich mir nicht zu lange an und schaue, dass ich schnell wieder aus dem Trübsalblasen herauskomme. Ich suche stets nach dem positiven Weg.»
Mehr noch – die 59-Jährige sieht den Verlust als Chance, sich weiterzuentwickeln, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. «Ich muss ja jetzt alles selber machen. Um das Administrative etwa kümmerte sich jeweils Jacques. Nun lerne ich, allein zurechtzukommen.»
Von ihren drei Söhnen Fabian (33), Nicolas (31) und Marco (27) schwärmt die Wahl-Waadtländerin: «Meine Buben sind wundervoll, wir können über alle Probleme miteinander reden, und sie sind immer für mich da. Sie stehen alle fest im Leben. Wäre Jacques ein paar Jahre früher von uns gegangen, wäre alles sehr viel schwieriger gewesen.» Auch auf ihre engsten Freunde darf sie zählen: «Ich kann mich immer melden, wenn ich etwas brauche.»
Besonderes Glück bedeutet ihr die Grossmutterrolle, die sie voll auskostet: «Als Fabians zweite Tochter Eva Anfang Jahr zur Welt kam, konnte ich sie unterstützen. Ich kümmerte mich um Chloé, die ältere Tochter. In dieser Zeit haben wir zwei eine enge Beziehung zueinander knüpfen können. Das ist unbezahlbar.» Erika ist dankbar, dass Fabian und seine Frau Delphine (32) sie in ihr Familienleben einbinden. «Sie haben schnell gemerkt, wie gut es mir tut, bei den Kleinen zu sein.»
Das positive Denken hat die Nidwaldnerin wie so vieles von Jacques gelernt. «Wir haben immer alles zusammen gemacht. Nach so vielen Jahren Ehe gewöhnst du dich daran. Ich vermisse den Austausch mit Jacques sehr. Wenn ich jetzt Entscheidungen treffen muss, fehlt mir sein Rat.» Er sei jedoch überall bei ihr, und wenn sie mal etwas vernachlässige, höre sie gleich seine Stimme, die sie antreibt. «Wir haben uns immer gegenseitig motiviert. Man ist ja nicht immer gut drauf, und dann braucht man jemanden, der einen anspornt.»
Eben habe sie das Velo wieder hervorgeholt und beim Fahren das Gefühl, Jacques radle voraus, sie in seinem Windschatten. Ein schönes Bild für diese aussergewöhnliche Beziehung.
An Jacques Todestag möchte Erika zu Fuss um den Lac de Joux laufen, in dessen Wasser Fabian, Nicolas und Marco die Asche ihres Vaters verstreut haben. Am Tag darauf kommt die Familie im engsten Kreis am Ufer des Sees zusammen, um ihrem verlorenen Mitglied zu gedenken. Das haben sie schon vor einem Jahr so gemacht – auch aus Gründen der Sicherheit in Pandemiezeiten. Für die, die Jacques kannten und nicht dabei sein können, schreibt die Familie in einer Karte: «Gute Gedanken sind immer und überall möglich.»
So hält es auch Erika: Spontan zündet sie immer wieder eine Kerze an und denkt daran, wie gut sie es hatte und immer noch hat. «Ich versuche, ganz in der Gegenwart zu leben und zu schauen, dass es meine Liebsten gut haben.» Das hat sie Jacques auf dem Sterbebett versprochen.