«Ich bin leider nicht unfehlbar»

Die Grande Dame der Schweizer Kleinkunst feiert ab Herbst mit einer Jubiläumstour 50 Jahre auf der Bühne. In all der Zeit hat die Sängerin ihre Leidenschaft für Musik nicht ver­loren – und schon gar nicht ihre Neugierde aufs Leben.

Von Aurelia Robles

Es ist einer dieser heissen Sommer­tage. Auf dem Hügel von Kilchberg ZH oberhalb des Zürichsees weht nur eine feine Brise. Dodo Hug (74) wedelt sich mit ihrem grossen grünen Fächer ­frische Luft ins Gesicht und sieht dabei tatsächlich aus wie «Madâme Dodo», wie sich die Künstlerin auch nennt. Seit 50 Jahren bringt sie ihre eigene Musiksprache auf die Bühne – ob mit witzigen, feinen oder fremden Tönen – und gilt längst als die Grande Dame der Schweizer Kleinkunst. 

Am Morgen war sie bereits auf dem «Märit», wie sie es jede Woche tut. «Ich brauche Struktur, sonst hat man am Ende des Tages nichts geschafft», sagt Hug. So geht sie zwei Mal die Woche schwimmen, Anfang Woche gibt sie in der Regel Musikunterricht. Die Finger­nägel an ihrer linken Hand sind hellblau lackiert, die rechten nicht. «Durchs Gitarrenspiel würde der Lack schnell abfallen.» Gitarre, Mandoline, Ukulele und Perkussionsinstrumente ­beherrscht Dodo Hug mit Leichtigkeit. ­Zudem singt sie neben Mundart auch auf Französisch, Sardisch, Englisch, Italienisch, bisweilen sogar auf Jiddisch. «Ich empfinde es, wie es ein berühmtes Zitat sagt: Eine andere Sprache zu können, ist wie eine zweite Seele zu haben.» Hug ­ergänzt: «Ich bin eine normale Person, die mit viel Hingabe und einem musi­kalischen sowie sprachlichen Talent gesegnet ­wurde. Dafür bin ich nicht so gut in Grammatik.»

So vielseitig wie ihre Darbietungen – früher machte Dodo Hug noch Komik, Seiltanz, Akrobatik und Jonglage –, ist auch der Beginn ihrer Lebensgeschichte. Die ersten vier Jahre wächst Doris, wie Hug gebürtig heisst, bei ihrer Grossmutter im Kanton Bern auf, weshalb sie heute in der Öffentlichkeit Berndeutsch spricht. «Doch dann holten mich meine Mutter und mein Stiefvater in den Zürcher Kreis 3», erzählt sie ins breite Züridütsch wechselnd. Es folgen mehrere Umzüge – bis die Eltern eine Beiz in Schwyz aufmachen. «Sie nahmen mich aus der Schule und ich musste helfen.»Mit 15 wurde sie zum Glück ins «Welschland» geschickt, erinnert sich Hug. Die zwei Jahre bei der strengen, vorbildlichen Madame eröffneten ihr in jeder Hinsicht Horizonte, und sie musste gleichzeitig Tankstelle bedienen, den Haushalt für sechs bis acht Personen schmeissen und nebenbei noch ziemlich gut Französisch büffeln.

Anfang der 70er-Jahre zieht Dodo Hug zurück nach Zürich. «Dort war ich ‹e Frechi und eini, wo nöd ufs Muul hockt›.» Sie bildet mit Musiker Pepe Solbach (Minstrels) und Theaterregisseur Christoph Marthaler (72), damals Musiker, heute Theaterregisseur, das Trio «TaroT». Mit letzterem war sie länger auch privat zusammen. «Wir waren Hippies, orientierten uns abseits der Konsumgesellschaft», so Hug. «Wie oft bin ich nach Hause und habe nur Reis gekocht. Heute wollen Kunstschaffende gleich den Fünfer und das Weggli. Dabei bin ich der festen Ansicht, dass man zuerst ein paar Jahre dienen muss, bevor man befehlen kann.» 

In den 80ern gründet sie das Ensemble «Mad Dodo» und wird schweizweit ­bekannt. Das Ensemble wird mit dem bege­hrten Salzburger Stier und dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Nachdem «Mad Dodo» in eineinhalb Jahren über 200 Auftritte spielen, schreibt sie den Hit «I ma nümm». 1994 löst sie die Gruppe trotz beachtlichem Erfolg auf und Dodo Hug lernt im Alter von 43 Jahren ­ihren heutigen Bühnenpartner, den sardischen Cantautore Efisio Contini (65), ­kennen. 1995 heiraten sie. «Ich habe mir immer einen Mann auf Augenhöhe und mit Rückgrat gewünscht», sagt sie rück­blickend. «Und wenn ich Efisio früher kennengelernt hätte, hätten wir wohl Kinder gehabt. So hat es sich aber nicht ergeben.» Sie hätten sich zum Glück noch heute sehr gerne, ergänzt sie lächelnd.

Im Herbst startet Dodo Hug die Jubiläumstour, um ihre 50 Jahre auf der Bühne zu feiern. Fürs Programm «DodoLogie» wird sie gemeinsam mit Efisio sowie vier weiteren Musikern auftreten und ihre liebsten Songs und Chansons vorführen. «Es wird aber kein Best-of», stellt Hug klar. 

Die Künstlerin, die nächstes Jahr 75 Jahre alt wird, hat für sich längst herausge­funden, worauf es im Leben ankommt: «Neugierde. Mich hat schon von klein auf ‹de Gwunder gstoche›.» So versuche sie immer mit einem neuen, wachen Geist an etwas heranzugehen, auch an Lieder, die sie schon seit langem in ihrem Repertoire hat. «Ideen für Songs kommen mir bei ganz profanen Dingen, zum Beispiel bei der Hausarbeit oder beim Fahren, ich höre auch Radio und lese diverse Zeitungen. So füttere ich mich ständig mit neuen Infor­mationen und Wissen.»

Oft liest Dodo Hug auch Bücher – «mich interessiert das Mittelalter» – oder setzt sich mit Menschen zusammen, von denen sie nach eigenem Bekunden etwas lernen könne. «Ich hatte immer interessante und gute Leute um mich, vor allem Frauen. Ich bin ein soziales Huhn, erlebe mich besser mit anderen. Das Schöne und Spezielle an mir sehen die anderen oftmals besser als ich. Deshalb brauche ich den Austausch.» Zudem sind ihr christliche Werte wie Nächstenliebe und Verlässlichkeit wichtig. «Aber ich bin leider nicht unfehlbar», sagt sie lächelnd. 

Ihre 74 Jahre sieht man Dodo Hug nicht an. «Ich habe nicht viele Falten, dafür zu viel auf der Hüfte» sagt sie. «Man kann eben nicht beides haben.» Ihr Gewicht mache ihr beim Treppensteigen zu ­schaffen, gesteht sie, ausserdem tanze sie weniger auf der Bühne, was sie vermisse. «Ansonsten habe ich die normalen Zipper­lein des Alters.» Nachdenklich sagt sie: «Ich habe einen guten Rat für alle jungen Frauen und Männer mit etwas zu viel auf der Hüfte: Nehmt vor 40 ab!» 

Seit zehn Jahren wäre Dodo Hug nun pensioniert, erhält auch monat­lich AHV, die jedoch nicht weit reicht. «Ich habe ohnehin nie an die Pension gedacht, weil das nicht mein Leben wäre. Ich hoffe, ich kann noch ein paar Jahre singen.» Gemäss Gatte Efisio, der die Finanzen macht, darf ihr Schiff inzwischen etwas ruhiger fahren, dennoch müssen sie als Paar noch immer etwas rudern, um finanziell über Wasser zu bleiben. «Das ist und war schon immer die Herausforderung in der Kleinkunst», sagt Dodo Hug. «Die Gagen sind nicht hoch und müssen meist geteilt werden. Dafür sind wir näher bei den Leuten und sie näher bei uns als bei grossen Mainstream-Konzerten.»

Sie hatte vor 50 Jahren keine Vorstellung davon, wohin es mit ihr gehen soll. «Ich wollte einfach spielen, ‹e chli über e Haag frässe da u dert›, in Frankreich, Italien, Öster­reich und Deutschland auftreten», erinnert sich Hug. Das hat sie längst erreicht. Und nicht nur das: Sie wird das noch weiterhin mit viel Euphorie tun.