Hanspeter Latour
Sein Sport ist jetzt die Natur
Der lauteste und temperamentvollste Mann im Schweizer Fussball lebt ohne seinen Sport? Als stiller Natur-Beobachter? Der ehemalige Trainer belehrt Zweifler eines Besseren.
«Wenn ich etwas anderes leidenschaftlich tun kann, habe ich kein Problem, mit Altem abzuschliessen», sagt Hanspeter «Pudi» Latour (69) zu seinem neuen Lebensabschnitt. Als der Ex-Fussballtrainer, Fussballexperte und Referent Anfang 2015 in Pension ging, wäre er noch weitere zwei Jahre ausgebucht gewesen. «Aber ich wollte aufhören. Ich sagte immer, ich werde nicht mit 80 Jahren im Stadion noch meine Meinung herausschreien», erzählt er der GlücksPost. «Ich will meine Pension geniessen und den Traum, der stets in mir schlummerte, realisieren: Die Natur geniessen und beobachten. Darauf habe ich mich gut vorbereitet.»
Er hat sich eine Kamera gekauft. Und das Gelände und das Waldstück um sein Ferienhaus in Innereriz BE in ein Paradies für die einheimische Flora und Fauna verwandelt. Denn die will er fotografieren. Und dafür gibt er alles. «Es hat mich der gleiche Ehrgeiz gepackt wie beim Fussball.» Stundenlang steht er, in eine Tarnplane gehüllt, im Unterstand in seinem Garten. Von hier hat er direkten Blick in den Wald und wartet auf das perfekte Sujet. Er lauert ganze Nächte hinter seinem Küchenfenster. Davor hat er einen Ast montiert, auf den er Äpfel steckt, um Vögel zu füttern. Doch die holen sich lieber die Beeren im Garten, die seine Frau Thilde (69) gerne zu Konfitüre verarbeiten würde. Latour hingegen ist es recht, wenn die Vögel die Beeren holen – so kommen sie vor seine Linse. Das sorgte schon für manchen kleineren ehelichen Zoff. Am Apfel auf dem Ast tun sich dafür nächtliche Gesellen gütlich: Der Baummarder holte sich den Leckerbissen kunstfertig, während der im Klettern weniger geübte Fuchs erfolglos in der Astgabel hängen blieb.
Thilde sagt achselzuckend: «‹Pudi› ist jetzt zwar mehr zu Hause als vorher – aber richtig hier ist er trotzdem nicht.» Für ihren Mann ist – mit wenigen Ausnahmen – ein Tag, den er nicht mit der Kamera im Garten verbringt, ein verlorener Tag. Als feststand, dass der Verlag Weber ein Buch mit seinen Bildern und Anekdoten veröffentlichen will, ging er eineinhalb Jahre nirgendwo mehr hin. Aus Angst, ein gutes Fotosujet zu verpassen. Thilde hat sich schon lange daran gewöhnt, dass ihr Mann voll in seinen Leidenschaften aufgeht. Sie verreist gelegentlich mit ihren Freundinnen, hat einen geschätzten Bekanntenkreis. Latour würde gerne immer hier oben wohnen. «Aber für Thilde wäre es umständlich, ihren Freundeskreis zu pflegen, der halt bei unserem Hauptwohnsitz und in der Nähe von Thun lebt.»
Die Liebe zur Natur, insbesondere zu Vögeln, hat Latour von seinem Vater, der, seit sein Sohn denken kann, Vögel züchtete. Ein ganzes Zimmer in der Mietwohnung hatte der Vater für seine Kanarienvögel und Distelfinken reserviert. Dass viele die Wandlung des Berner Unikums noch nicht ganz nachvollziehen können, versteht er. «Jeder will halt mit mir über Fussball reden.» Dabei sehe er viele Spiele gar nicht mehr oder nur als Zusammenfassung. «Früher zahlte man mir mehrere Tausend Franken für einen Vortrag. Heute bekomme ich eine Flasche Wein, wenn ich vor 20 bis 100 Leuten über meine Naturerlebnisse rede.» Das stört ihn nicht. «Die Leute haben Freude, und ich habe einen tollen Lebensinhalt gefunden.»