«Gelassen? In meinem Leben war  ich das noch nie!»

Von ihrer Paraderolle in «Unter Verdacht» verabschiedete sie sich vor einem Jahr. Jetzt meldet sich die Schauspielerin mit neuem Film zurück – und auch ihr 80. Geburtstag wirft seine Schatten voraus. Doch altersmilde ist sie nach wie vor nicht.

Zwei Welten, die aufeinanderprallen: Senta Berger (79) kann es in ihrem neuen Film «Martha und Tommy» nicht lassen, sich ins Leben der Nachbarn einzumischen. Sie spürt, dass beim Studenten und seinem kleinen Bruder etwas nicht stimmt. Nach und nach kommt die ehemalige Ärztin hinter die Wahrheit – aber auch sie selbst hütet ein Geheimnis, das sie sehr bedrückt.


GlücksPost: Zum Ende der Krimireihe «Unter Verdacht» sprachen Sie davon, sich langsam aus der Schauspielerei zurückziehen zu wollen. Inwiefern wurde «Martha und Tommy» Ihren Ansprüchen gerecht, doch vor die Kamera zu treten?
Senta Berger:
Mich hat die Geschichte der beiden Brüder interessiert, ich wollte sie miterzählen. Es gelingt beiden, sich zu öffnen und zu reden. Reden: Das ist gar nicht so einfach, und für viele Menschen schwer zu lernen. Und vergeben können ist wohl genauso schwer. Sich selbst vergeben können sicher das Schwerste überhaupt. Das alles hat mich interessiert.

Sie haben privat auch mit jungen Menschen zu tun. Was können Ihre Enkel sich von Ihnen abschauen?
Meine Enkel sind erstaunlich gute Beobachter. Vielleicht werden sie sich daran erinnern, dass ich immer versuche, vorurteilsfrei anderen gegenüberzutreten. Vielleicht daran, dass ich sehr spontan bin, zu impulsiv manchmal, aber immer aufrichtig. Vielleicht sagen sie auch: Die Senta hat bei der Küchenarbeit gesungen, wisst ihr noch?

Wie ich gelesen habe, sagten Sie von Martha, dass sie sich «ohne Selbstmitleid dem Leben» stelle. Trifft das auch auf Sie zu?
Es gehört sich, an das Leid anderer Menschen zu denken. An wirkliches Leid. In den schlimmsten Momenten meines Lebens war immer meine Familie da, um mit mir zu leiden. Da braucht es kein Selbstmitleid mehr.

Sie strahlen viel Gelassenheit und Souveränität aus. Woher kommt das?
Ehrlich? Gelassenheit? Ich bin erstaunt. Das Wort ist mir fremd. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie gelassen. Ich glaube, ich will gar nicht gelassen sein. Ich steige immer sehr hoch ein und sofort. In jede Situation, in jedes Gespräch, in jedes Engagement. Ich mag souverän wirken, in manchen beruflichen Situationen bin ich es ja auch, wäre auch traurig, wenn es nach so langer Zeit anders wäre. Aber Gelassenheit setzt ja auch einen gewissen distanzierten Blick voraus, den ich nicht habe. Vielleicht noch nicht.

Dabei werden Sie am 13. Mai 80 Jahre alt. Stört Sie die Aufmerk-samkeit, die Sie dafür bekommen?
Das macht mich ein wenig verlegen. 80 zu werden, ist kein Verdienst. Ich bin einen langen Weg gegangen, und viele Menschen haben mich begleitet und tun es noch. Da darf ich doch sentimental sein, nicht wahr? Auch wenn es für mich bis jetzt nur eine Zahl auf der Torte ist. Mein Körper wird mir schon noch beibringen, dass es mehr als eine Zahl ist.

Haben Sie schon Pläne für den Tag?
Es wäre schön, wenn ich in Wien feiern könnte, der Stadt, in der ich geboren bin, wo alles begonnen hat, der Stadt, die im Mai schöner als alle anderen ist.

Was wollen Sie als Erstes unternehmen, wenn es wieder Freiheit gibt?
Ich fahre sofort nach Wien, trinke in «meinem» Kaffeehaus einen grossen Braunen oder zwei!

Wie gehen Sie damit um, dass wir alle seit einem Jahr in einer Welt leben, über die wir beinahe die Kontrolle verloren haben?
Ich finde nicht, dass wir die Kontrolle verloren haben, im Gegenteil. Wir versuchen, die Kontrolle zu behalten. Die nötigen Vorkehrungen dazu sind für die gesamte Gesellschaft hart. Die Erkenntnisse wechseln und deshalb auch die Aussagen der Wissenschaftler, die Ansagen der Regierungen. Wir wissen immer noch zu wenig über das Virus, um ungehindert zu unseren individuellen Freiheiten zurückkehren zu können. Es ist die Zeit zu beweisen, dass wir nicht nur Bürgerrechte haben, sondern auch Bürgerpflichten.

Ihr Mann hatte einem Interview zufolge gewünscht, von Ihnen im ersten Lockdown bekocht zu werden. Sie waren nicht so begeistert.
Ich habe herausgefunden, dass ich eine wirklich begabte Köchin bin. Die Eigenschaften, die mir in meinem Beruf nützen, tun es auch in der Küche: Neugier, Mut, Phantasie und Humor.

Sie sind seit 1966 miteinander verheiratet. Erstaunt Sie, dass Sie so etwas erleben konnten?
Was soll ich sagen? Das Staunen fängt gerade erst an. Das Staunen, alt zu werden und es gemeinsam zu werden. In unserem ganzen bisherigen Leben haben wir nie über unser Zusammensein gestaunt. Es ist unser Leben. Wir kennen kein anderes. Wie soll man Liebe erklären? Welche Eigenschaften soll man herausstreichen, um zu belegen, dass Liebe auch Alltag übersteht? Keine Ahnung!