Angélique Beldner
«Es ist ein sehr zehrender Einsatz»
Auf fröhliche Zeitreise begibt sich die Bernerin mit «1 gegen 100». Privat treibt sie nach wie vor ein ernstes Thema um: Rassismus, den sie mit viel optimismus bekämpft.
Abtauchen in vergangene Zeiten: Darauf darf sich das «1 gegen 100»-Publikum freuen. Am 11. 2. präsentiert Angélique Beldner (47) das «Jahrzehnte-Special». In der Samstagabend-Ausgabe macht sie mit Gästen wie Walter Andreas Müller, Kiki Maeder und Gilbert Gress Abstecher in die 70er-, 80er- und 90er-Jahre (siehe Box). Und heute mit der GlücksPost beim Fototermin! «Da kommen Erinnerungen auf», meint sie amüsiert beim Anblick der Requisiten – von der Hippie-Brille bis zum Walkman.
GlücksPost: Welche Erinnerungen werden denn bei Ihnen geweckt?
Angélique Beldner: Mir fällt zum Beispiel eine Geschichte aus den 80er-Jahren ein. Ich bin schon relativ jung allein in die Stadt zum Geigenunterricht gefahren. Eines Tages fiel mir bei mehreren Leuten auf, dass sie etwas Komisches auf den Ohren hatten, und ich fragte mich, wie es sein kann, dass plötzlich so viele Menschen ein Hörgerät brauchen. Ich fand das sehr befremdlich … (lacht). Erst später fand ich heraus, dass es Walkmen bzw. deren Kopfhörer waren.
Schauen Sie gerne zurück?
Extrem gerne. Ich hatte eine tolle Kindheit und Jugend und später auch nie das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Ich habe jedes Jahrzehnt auf seine Art genossen. Und so freue ich mich auch sehr über das Thema der Sendung: Es ist cool, gedanklich zurückzureisen.
Sie sind erst 1976 geboren, da dürften die Erinnerungen an die 70er-Jahre spärlich sein …
Absolut, ich erinnere mich an mein Dreirad-Velo, aber ich glaube, das ist eher Fotos geschuldet. Und einen Unfall hatte ich damals.
Erzählen Sie!
Laut meiner Mutter bin ich mit voller Wucht auf einen Kanaldeckel geknallt und hatte danach ein blutiges, kariertes Gesicht. Der Arzt meinte, die Narben würden wohl bleiben. Am Ende ist zum Glück nur eine kleine am Kinn geblieben.
Waren Sie als Kind und Teenager sehr wild?
Ich war ein sehr aktives Kind. Ich wollte alle Hobbys machen, die man so machen kann. Das wurde mir aber nicht erlaubt. Zwei durften es sein (lacht). Und als Teenager … Meine Mutter sagt immer, dass sie das Gefühl hatte, dass ich meine Grenzen kenne. Sie war daher recht locker. Das hätte das ein oder andere Mal auch in die Hose gehen können (lacht). Und ich bin teilweise in sehr ausgeflippten Kleidern herumgelaufen. Heute führe ich mit meinen Kindern Diskussionen darüber, ob man in Trainerhosen zur Schule gehen kann. Aber warum soll’s mir anders gehen als früher meinen Eltern …
Ihre beiden Söhne sind 15 und bald 12 Jahre alt. Wie sehr halten die beiden Sie auf Trab?
Sehr fest, jeder auf seine Art. Der Grosse zum Beispiel findet ja, er sei fertig erzogen. Und langsam fängt es mit dem Ausgehen an – er will zu Uhrzeiten heimkommen, wo ich längst im Bett liege. Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht. Aber es ist auch schön, dass sie selbstständiger werden, dass mein Mann und ich auch mal weggehen können, ohne einen Babysitter organisieren zu müssen.
Seit drei Jahren moderieren Sie –nebst der «Tagesschau» – auch «1 gegen 100» . Was hat sich für Sie seither verändert?
Ich habe diese Moderation mit grossem Respekt übernommen: «1 gegen 100» hat seit einer Ewigkeit funktioniert. Ich hatte schon Sorgen, ob das auch mit mir so sein würde. Und ob ich es schaffen würde, der Sendung einen eigenen Anstrich geben zu können.
Und das hat funktioniert?
Ich finde schon: Für mich ist es von einer coolen Quizsendung auch ein Stück weit zu «meiner» coolen Quizsendung geworden. Klar kann man in so einem Format nicht allzu viel verändern, aber es passiert wie von alleine und durch Kleinigkeiten – seien es leicht veränderte Quiz-Themen, wie etwa das Thema «Tagesschau», das mit meinem Start eingeführt wurde, oder dass wir mittlerweile manchmal Fotos zeigen, die Einblicke in die Lebenswelten unserer Kandidatinnen und Kandidaten geben.
Sind solche Samstagabend-Sendungen trotz der einkehrenden Routine noch etwas Spezielles?
Auf jeden Fall: Sie sind für uns alle sehr anspruchsvoll, die Aufzeichnungstage lang. Am Ende sind alle fix und fertig – inklusive der Kandidatinnen und Kandidaten (lacht).
Sie haben Prominente wie Gilbert Gress dabei. Wer waren die Heldinnen und Helden Ihrer Jugend?
Da kommt mir als Erstes Peppino in den Sinn: Das war eine Serie in den 80er-Jahren um einen italienischen Buben, der mit der Familie in die Schweiz zog und hier auf viele Hürden stiess. Musikalisch war Whitney Houston ein Idol; sicher auch, weil ich mich mit ihrem Äusseren identifizieren konnte.
Rassismus verdrängten Sie damals noch, seit 2020 nicht mehr: Sie schildern Ihre Erfahrungen – von rassistischen Sprüchen und Publikumszuschriften bis zu versteckter Ablehnung im Alltag – in einem «Reporter» und Ihrem Buch «Der Sommer, in dem ich schwarz wurde». Wie viel Platz nimmt das Thema noch ein?
Immer noch einen grossen. Ich bekomme viele Anfragen für Lesungen, werde zu Podiumsdiskussionen eingeladen oder für Moderationen rund um das Thema gebucht. Ich finde es nach wie vor wichtig, mich zu engagieren, gleichzeitig ist es auch ein sehr zehrender Einsatz – was ich aber auch erwartet hatte.
Was ist zehrend daran?
Dass man oft das Gefühl hat, wieder bei null anzufangen, ständig die gleichen Fragen zu beantworten. Aber ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch und sehe, dass sich schon etwas verändert: Es sind kleine Schritte, und es geht auch nicht immer nur vorwärts. Aber ich weiss, manchmal sieht man die Erfolge erst verzögert – daran halte ich mich fest.
Was hat sich denn positiv verändert?
Dass wir darüber reden, zeigt schon, dass die Menschen grundsätzlich sensibilisierter sind auf das Thema. Und viele Fragen werden allmählich differenzierter.
Haben Sie sich durch dieses Engagement verändert?
Vor allem weiss ich inzwischen viel mehr zum Thema. Dinge, die weit über das hinausgehen, was ich selbst erlebt habe. Und wenn jemand heute mit mir darüber redet, muss er in Kauf nehmen, dass ich meine Meinung offen und ehrlich sage. Zum Beispiel höre ich manchmal: «Aber es gibt so viel Diversität in den Schulen, da kann doch Rassismus kein Thema mehr sein.»
Ein Trugschluss.
Ja, leider. Die zunehmende Diversität ist ein Vorteil für alle, die als vermeintlich «anders» angesehen werden. Denn sie haben Menschen um sich herum, mit denen sie sich austauschen können. Aber glauben Sie mir – nur weil die Diversität grösser ist, heisst das noch lange nicht, dass die Probleme nicht mehr existieren. Viele Junge erzählen mir ihre Erfahrungen, und diese sind leider oft praktisch deckungsgleich mit meinen vor 30 Jahren. Ja, über solche Dinge rede ich heute und stehe dafür ein. Aber das kann ich nicht immer, weil es kostet enorm viel Energie. Kürzlich war ich an einer Feier, an der sich eine tolle Frau sehr stark für Minderheiten eingesetzt und viel argumentiert hat. Es war richtig schön, mal nichts sagen zu müssen.
Sie meinten in unserem letzten Interview, dass der Moment kommen wird, wo Sie sich wieder mehr zurückziehen wollen. Nähert er sich?
Nein, noch finde ich es zu wichtig, mich zu äussern. Wobei ich gleichzeitig hoffe, dass man auch den vielen anderen Menschen zuhört, die etwas zu sagen haben. Dass man grundsätzlich hinhört und hinschaut. Es gibt auch viel spannende Literatur.
Wie erfüllend ist es für Sie, in diesem Bereich Gutes zu tun?
Ach, so wichtig will ich mich nicht nehmen. Aber sicher: Es ist schön, wenn man merkt, dass man etwas bewegen kann. Letzthin hat sich ein Mann auf der Strasse aus dem Nichts heraus bei mir bedankt. Ich fragte wofür, und er meinte: «Für alles.» Wenn er wüsste, wie viel Energie er mir damit geschenkt hat!
Aber sicher bekommen Sie auch weniger schöne Reaktionen?
Ja, die gibt es natürlich auch. Mühe habe ich mit jenen, die mir die Welt erklären wollen. Die, die mir sagen, ich solle doch nicht alles so schwer nehmen. Da denke ich mir: Ich nehme das Leben nicht schwer! Im Gegenteil: Ich bin glücklich und zufrieden und sehr mit mir im Reinen.
Haben Sie auch Drohungen bekommen?
Ja, aber wenn ich höre, wie stark andere davon betroffen sind, ist es bei mir relativ wenig. Ich bin ja immer sehr versöhnlich gestimmt, vielleicht ist es deshalb nicht so extrem. Das wäre meine persönliche Erklärung dafür.
Mussten Sie mal die Polizei einschalten?
Das gab es schon, aber das passiert auch Berufskolleginnen und kollegen und muss nicht unbedingt mit einem rassistischen Motiv zu tun haben.
Was wäre Ihr Traum in Bezug auf Ihr Engagement?
Dass die Leute endlich begreifen, dass das Thema Rassismus die ganze Gesellschaft betrifft. Dass es für alle gut wäre, wenn sich da etwas bessert. Und es ist mein Traum, dass man aufhört, das eine Problem gegen ein anderes aufzuwiegen.
Wie meinen Sie das?
Als zum Beispiel dieser schreckliche Krieg begann, konnte man hören, Rassismus sei völlig banal dagegen. Dieser Krieg ist eine absolute Katastrophe. Aber sollen wir deshalb aufhören, an anderen Problemen dranzubleiben? Ich finde nein. So fände ich es schön, wenn die Leute sich etwa bewusst machen würden, was Alltagsrassismus, kleine Mikroaggressionen, auslösen. Sie bringen dich als Betroffene nicht um, man kann damit leben, trotzdem ist es falsch und verletzend und kann schwerwiegende Folgen für die Psyche haben.
Und was wäre Ihr privater Traum?
Da wünsche ich mir einfach nur, dass meine Kinder ihren Weg machen, glücklich und gesund sind.