Ritschi
Endlich seine Lockerheit zurück
Seine Musical-Hauptrolle im letzten Jahr öffnete dem Berner Musiker die Augen. Nach Jahren voller Selbstzweifel sprüht er wieder vor Energie und Positivität – und bringt dies mit Musik zum Ausdruck.
Von Irene Lustenberger
Gut gelaunt spaziert Ritschi durch die Gassen von Unterseen bei Interlaken BE und macht für den Fotografen Mätzchen. Vor einem Hotel stehen zwei ältere Frauen, plaudern und beobachten unser Fotoshooting. «Hier war ich vor vielen Jahren an einem Konzert von dir», sagt die eine zum einheimischen Sänger. «Vor vielen Jahren» bedeutet in diesem Fall rund 20 Jahre, als Ritschi mit Plüsch und den Hits «Heimweh», «Wunder passiere» oder «Irgendeinisch» die Schweizer Charts stürmte.
Mittlerweile hat sich der 43-Jährige als Solokünstler etabliert und veröffentlicht am 24. Februar sein fünftes Album, «Irgendöppis isch immer» (siehe Box). «Der Titel entspricht meinem Leben der vergangenen drei Jahren», resümiert Ritschi. «Es kam alles anders als geplant.» Er habe im vergangenen Jahr wohl keinen Satz so oft gesagt wie diesen. «Ich habe den Albumrelease mehrmals verschoben, weil entweder Konzerte nicht möglich oder die Songs nicht fertig waren.» Er habe Mühe gehabt, kreativ zu sein, gibt er zu. «Ich war leer und hatte zu wenig erlebt, um fröhliche Songs schreiben zu können.» Mit der Pandemie hat er die Positivität und Leichtigkeit, die ihn immer ausmachte, verloren. «Ich hatte grosse Selbstzweifel und musste dringend aus dieser Abwärtsspirale raus.»
So geschah es, dass sich der Sänger im vergangenen Jahr mit neuen Musikern umgab und Sänger und Songschreiber Adrian Stern (47) als Albumproduzent ins Boot holte. «Die Zusammenarbeit mit Adi war inspirierend und hat mich zurück auf die Spur gebracht.»
Der Berner Oberländer brauchte Zeit, um das Grundvertrauen in sich und seine Fähigkeiten wieder aufzubauen. Ein Schlüsselerlebnis war sicher seine Hauptrolle im Musical «Io senza te» im vergangenen Sommer. «Meine Musicalkollegen leben ihren Traum, sind glücklich, ihre Leidenschaft als Beruf zu haben. Dies bedeutet, an weit entfernte Castings zu fahren, wochenlang nicht nach Hause zu kommen …» Dieser Sommer habe ihm die Augen geöffnet, welches Privileg er doch habe. «Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht: Ich habe eine tolle Familie, ein schönes Zuhause und eine Karriere.» Die Türen stünden offen, er müsse aber selbst durch diese hindurchgehen. «Zwischen Sommer und Weihnachten ging viel in mir vor. Ich habe die Lockerheit zurückgewonnen und konnte positive Gefühle in die Lieder stecken. Das hört man auf dem Album», erklärt er. Ein Song heisst übrigens «Üse Summer».
Apropos positive Gefühle: Die gibt ihm seine Familie – Ehefrau Andrea und die Kinder Neo (10) und Mila (6). Zwei Tage pro Woche hat er Papi-Tag. Während seine Frau arbeitet, kümmert er sich um die Kinder. Daneben komponiert er, gibt Konzerte, spielt Musical und hält seit neuem Referate. ««Man muss flexibel bleiben und innovativ sein. Vor allem, wenn man Mundart singt und der Markt deshalb beschränkt ist», hält er fest. Heutzutage müsse man als Künstler auch neben der Musik kreativ sein und unternehmerisch denken.
Ritschi hat noch andere Talente. Vor seiner Musikkarriere hat er eine Schreinerlehre abgeschlossen. So hat er das Haus, in dem er mit seiner Familie wohnt, vor 13 Jahren komplett selbst saniert. «Und es war immer mein Traum, so etwas nochmals zu machen.» Vor ein paar Monaten konnte er das Nachbarhaus aus dem Jahr 1850 kaufen. «Uns dient es als Altersvorsorge. Und die Nachbarin war glücklich, dass jemand das Haus kauft, den sie kennt und der es äusserlich nicht verändert.» Im Innern aber bleibt nicht viel beim Alten. In jeder freien Minute schlüpft Ritschi in seine Arbeitsklamotten, zieht Helm und Pamir an und baut das Haus um. Er zieht einen Vergleich zur Musik: «Nachdem man alles herausgerissen hat, ist nicht mehr viel da, die Hülle aber bleibt. Dann braucht man die Inspiration, daraus etwas Neues zu kreieren, und den Glauben, dass es funktioniert.» Zudem müsse man lernen, mit den Gegebenheiten umzugehen und das Beste daraus zu machen. «Am Abend nach der Arbeit sieht – oder hört – man dann das Resultat.» Und bei Ritschi überzeugt das langfristig – beim Umbau und bei der Musik!