«Ein glückliches Leben ist auch ohne Partner möglich»

Die berühmte Clownin lebt seit fast 40 Jahren im Tessin. Sie erzählt, warum sie mit ihrer ­Figur Hanna auf Abschiedstournee geht und was sie macht, wenn sie nicht gerade auf der Bühne steht.

Von Irene Lustenberger

Das schmucke Tessiner Dörfchen Arzo wirkt verschlafen, als die GlücksPost ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit bei Gardi Hutter (71) klingelt. «Ich bin noch nicht ganz fertig, aber kommt doch schon mal hinein und setzt euch», sagt die Künstlerin und bietet Kaffee an. «Espresso oder grösser? Mit Milch und Zucker?» Sie wirbelt zwischen Küche und Esstisch hin und her, trägt für das Foto noch etwas Lippenstift auf und ist dann bereit fürs Gespräch. 

Seit bald 40 Jahren wohnt Gardi Hutter im Dorf mit seinen knapp 1300 Seelen, das zur ­Gemeinde Mendrisio TI gehört. Auf­gewachsen in ­Altstätten SG, absolvierte sie eine dreijährige klassische Schauspiel- und Theater­pädagogik-Ausbildung in Zürich und besuchte danach Clown-Kurse in Italien. Sie lebte mehrere Jahre in Mailand (I) und entwickelte dort ihre Bühnen­figur Hanna. Als sie eine Familie gründete, wollte sie ­zurück aufs Land ­ziehen, fand aber um Mailand herum nichts Passendes. «Und so ­kamen wir nach Arzo», wie sie erzählt.

Seit 1981 tourt Gardi Hutter durch die Welt und ist in 35 Ländern auf fünf Kontinenten aufgetreten. «Hanna war zu Beginn eine Provokation. Damals hiess es, nur Männer seien komisch, Frauen tragisch.» An der Schauspielakademie habe ihr der Direktor gesagt, dass sie zwar begabt, aber zu klein sei und deshalb nie eine Haupt­rolle spielen werde. Ihren Frust wandelte sie in Krea­tivität um. «Ich musste die Figur, die ich spielen will, selbst erfinden.» 

In den bald 44 Jahren hat Gardi Hutter über 4400 Vorstellungen gespielt. «Hanna ist mein privater Komposthaufen. Alles, was ich nicht verdauen kann oder mir schräg reinkommt, kann ich ihr übergeben», sagt ­Hutter. «Je mehr Probleme und Konflikte, umso lustiger.» Hanna spricht nicht, sondern brabbelt und wird deshalb überall auf der Welt verstanden. Zudem hat sie keine Komplexe – «sie ist nicht zu dick, sondern der Spiegel zu klein» –, ist ­widerborstig und störrisch. «Sie verkörpert alles, was als unweiblich galt», erklärt ihre ­Erfinderin. Wortloser Humor unterscheide sich in den einzelnen Ländern kaum. «Das Publikum lacht überall an denselben Stellen – meist an den ­gemeinen.»

Als Hanna macht sich Gardi Hutter ­absichtlich hässlich. Wie eitel ist sie denn privat? «Ich bin auch geprägt von den ästhetischen und un­erreichbaren Normen, die uns vorgegeben werden. Ich kenne keine Frau, die nicht an ­ihrem Körper leidet. Selbst Models, die ich an Galas treffe, haben etwas an sich auszusetzen. Das ist doch total verrückt.»

Schwierige Kindheit

Noch bis Mai 2025 ist Gardi Hutter mit ihren vier Solo-Programmen auf Abschiedstour. «Mir ist bewusst, dass ich mehr Jahre hinter mir habe als vor mir», sagt sie. «Und meine Bühnenstücke sind physisch anstrengend. Ich muss mich nicht fit halten für die Bühne, sondern die Vorstellungen halten mich fit. Es ist, wie wenn man eine Stunde lang joggt. Danach bin ich tropfnass geschwitzt.» Eines Tages werde es körperlich nicht mehr möglich sein, die ­Bühnenstücke aufzuführen. «Und deshalb möchte ich aufhören, solange ich noch ­gesund bin.» 

Der Clownin selbst war nicht immer zum Lachen zumute – vor allem in ihrer Kindheit und Jugend. Gardi Hutter wuchs mit drei Brüdern in einem streng katho­lischen Elternhaus auf. «Wie ich erzogen wurde, ist aus heutiger Sicht menschenfeindlich, galt damals aber als normal», erinnert sie sich. Ihre drei Brüder hätten viel mehr Freiheiten gehabt als sie. Züchtigkeit war wichtiger als Zärtlichkeit. «Mir wurde nie gesagt, dass ich gut bin, so wie ich bin.» 

Und so war es ihr wichtig, ihre eigenen Kinder Juri (39) und Neda (35) anders zu erziehen. «Ich versuche, zu verstehen, wer sie sind, und ihre Autonomie zu fördern, indem sie Verantwortung übernehmen.» Sie habe ihren Sohn und ihre Tochter gleich behandelt. «Und trotzdem hat ­meine Tochter mehr Selbstzweifel als mein Sohn. Da scheint sich die über viele Generationen währende Abwertung im Weib­lichen verankert zu haben. Ähnliches beobachten auch meine Freundinnen.»

Ihre Kinder wohnen mittlerweile in Marseille (F). «Wir haben ein sehr inniges Verhältnis, auch wenn wir uns selten sehen.» Beide sind Künstler und erwähnen meist nicht, dass ihre Mutter Gardi Hutter ist. «Wir standen zwar schon in einem gemeinsamen Stück auf der Bühne. Aber sie wollen sich eine eigene Existenz aufbauen und nicht einfach ‹Sohn und Tochter von› sein», erklärt sie. Als Neda zwei und Juri sechs Jahre alt waren, haben sich Gardi Hutter und ihr Mann, der Kabarettist und Regisseur Ferruccio Cainero (71), getrennt. «Als Eltern waren wir aber weiterhin gemeinsam für unsere Kinder da. Die beiden waren abwechselnd bei ihm oder bei mir. Wir haben unsere Tourneen so gelegt, dass immer einer von uns zu Hause war.»

Gardi Hutter lebt alleine in ihrem Haus in Arzo. «Ich bin Nomadin und viel unterwegs», sagt sie. Die Clownin lernt auf ihren Tourneen viele Leute kennen. «In Städten, wo ich immer wieder hinkomme, habe ich ein kleines Netz von Freundschaften. In meinem Beruf lernt man mit der Zeit, dass man keine Beständigkeit haben muss, sondern sich auch mal ein paar Jahre nicht ­sehen kann und sich trotzdem nicht aus den Augen verliert.» Einen festen Partner hat Gardi Hutter nicht. «Ein glück­liches Leben ist auch ohne Partner möglich.» Sie sei nicht auf der Suche nach einer Beziehung, wolle es aber auch nicht ausschliessen, sich nochmals zu verlieben. 

Langweilig wird es Hutter jedenfalls nicht. ­Jeden ­Donnerstagabend geht sie in die Dorfkneipe, um zu stricken. «Es gibt nichts Entspannenderes, als gemeinsam zu lisme und zu schwätze», sagt sie. Zudem hat sie einen grossen Garten mit einem Biotop, in dem zwei Schildkröten leben. «Und all die Bücher, die ich noch lesen möchte!» 

Auch mit dem Älterwerden geht Hutter entspannt um. «Es ging mir noch nie so gut wie jetzt. Ich bin viel entspannter, als ich es mit 20 oder 40 war. Ich muss nicht mehr überall mit dabei sein und dieses und jenes haben, um ein glück­licher Mensch zu sein. Die Weisheit des Alters hilft, unangestrengter mit sich im Reinen zu sein.»