Ein ganz privates Märchen

Für die neue Leiterin der Zürcher Märchenbühne könnte es beruflich und privat nicht besser laufen. Daheim geniesst sie ihre Familie mit Baby Valerio und Gatte Pirmin. Auf der Bühne tritt sie in die Fussstapfen der unvergesslichen Ines Torelli.

 Aurelia Robles

Ruhig lauscht der sechsmonatige Valerio der Stimme seiner Mama. «S’Vreneli seit ganz nett ‹Guete Morge Marie› und denn seit d’Marie: ‹Lang mi nöd a mit dine dreckige Händ!› – so gemein, nöd?», fragt Ramona Fattini (35) und schaut liebevoll zu ihrem Söhnchen, der mit seinen Patschhändchen nach dem Drehbuch greift. In den vergangenen ­Wochen hat die Schauspielerin oft neben ihm auf dem Sofa daheim in Zürich ihren Text geübt. Das Märchen «Frau Holle» (bis März im Zürcher Theater Hechtplatz) ist das erste, das sie als neue Leiterin der Zürcher Märchenbühne realisiert. «Die Moral der Geschichte, die Respekt und Freundlichkeit beinhaltet, finde ich sehr schön, und ich wollte auch immer mal Rotzgöre Pechmarie spielen wie Ines Torelli», sagt sie. Und Torelli (1931–2019) ist auch als Leiterin der Märchenbühne – Gatte Edi Baur (1919–2009) hatte diese gegründet – ihre Vorgängerin. Danach übernahmen Erich Vock (62) und Ehemann Hubert Spiess (60) und übergaben diesen Sommer nach dreissig Jahren an Fattini. 

Wie Torelli und Vock kann auch sie beruflich auf die Unterstützung ihres Mannes zählen. Seit Mai 2020 ist sie mit Musiker Pirmin Huber (37) liiert, seit März verheiratet und seit April sind sie Eltern. «Ramona fragte mich, ob ich die Musik zum Märli mache», erzählt der Klangkünstler. «Für Kinder zu komponieren, war eine neue und tolle Herausforderung. Die Kreativität kam dann mit Valerio hinzu.» Ansonsten ist der Kontrabassist mit Formationen wie Stereo Kulisse oder Ambäck unterwegs, modernisiert traditionelle ­Musik mit Pop-Jazz oder gar mit Techno. Ganz so weit geht das Paar auf der Märchenbühne nicht. «Ich bin da traditionell», sagt Fattini. «Es darf zeitgemässe Anpassungen geben, zum Beispiel bezüglich des Frauenbildes. Aber die Geschichte sollte nicht verändert werden, das fände ich schade.»

Hochzeit, Kind, Leitungsposition: 2024 hat sich bei den beiden Kulturschaffenden privat, aber auch beruflich einiges getan. «Wir sind uns zwar als Selbständige Abwechslung gewohnt, aber das sind schon einschneidende Veränderungen», sagt sie. Dass private Wünsche und berufliche Ziele gerade so einhergehen, kann sie selbst manchmal kaum glauben. «Ich habe das Gefühl, dass ich im Moment in meinem eigenen Märchen bin und geniesse es sehr.» Welche Rolle sie darin spielte, ist ihr klar: «Die kleine Ramona würde sagen: ‹Ich bin d’Prinzessin und de Pirmin min Prinz.›» 

Gerade herrscht Hochsaison

Aktuell herrscht bei der jungen Familie eine intensive Zeit. Die Winterthurerin agiert nicht nur bei «Frau Holle» in doppelter Funktion, sondern steht abends zudem in «Die kleine Niederdorfoper» auf der Bühne des Zürcher Bernhard Theaters. Somit ist Pirmin Huber öfter zu Hause. Der Schwyzer unterrichtet deshalb weniger, dafür komponiert und arrangiert er vermehrt daheim mit Baby Valerio an seiner Seite. «Es ist zwar noch neu, aber dass es als Familie so gut geht mit unseren Berufen, ist schön.» Beide machen aber klar, dass dies herausfordernd sei und sie auf die Unterstützung ihrer Eltern zählen könnten. «Automatisch funktioniert es nicht. Die Verein­barkeit von Beruf und Familie braucht viel Organisation – und Glück.» Ein Segen, sei Ramona ein «Organisationstalent», wie er sagt. So liebt sie es, sonntags den Wochenplan zu gestalten – Familientage inklusive. «Aber selbst an den Ruhetagen überlegen wir, was wir noch machen könnten.» 

Die Neugier und Unternehmungslust hat Valerio von seinen Eltern vererbt bekommen. Seinen Kopf dreht er stets dorthin, wo etwas los ist. Theaterluft hat der Kleine bereits geschnuppert. Im Rahmen der Konzertreihe «ArtLändler» seiner Eltern war er mit zwei Monaten in der ­Trage kurz auf der Bühne. «Ich merke die Verantwortung von ­Mutter und Theaterleiterin und hoffe, dass ich alles richtig mache», gesteht ­Fattini. «Aber ich verlasse mich in beiden Rollen auf mein Bauchgefühl.» Und auch wenn das «Tschüss-Sagen» noch schwerfalle, vergesse sie bei der Arbeit auch mal, dass sie Mutter sei. «Dann kommt mir ­wieder in den Sinn, dass zu Hause meine beiden Männer warten.» Und dies nicht im Märchen, sondern im realen Leben.