Roger Federer
Diese Quelle gab ihm all die Jahre Kraft
Er machte aus dem hitzköpfigen Jungspund den König der Tennis-Welt. Für die Karriere des Maestro ist sein verstorbener australischer Coach so wichtig wie Ehefrau Mirka und seine Kinder. Auch heute noch.
Jetzt wissen wir, weshalb für Roger Federer (37) das Australian Open neben Wimbledon das wichtigste ATP-Turnier ist. Weshalb er seit Jahren mit seiner Familie den Silvester in Down Under verbringt – beim Neujahres-Empfang des Hopman Cup. Er lässt das Turnier nie aus, obwohl es weder WTA- noch ATP-Punkte bringt.
Australien ist Federers Herzensland, mit ihm verbindet er viele der wichtigsten Momente seines Lebens. Und beinahe wäre es seine Heimat geworden! Sein Vater erhielt Mitte 90er-Jahre ein Job-Angebot, für welches er ins Land der Kängurus hätte auswandern müssen. Als der damals 13-jährige Roger erfährt, dass die Familie in der Schweiz bleibt, ist er untröstlich.
Dass ihm das Land am anderen Ende der Welt schon damals so viel bedeutete, hat mit seinem australischen Coach Peter Carter († 37) zu tun. Mit ihm wächst Roger auf dem Tennisplatz auf. Er ist sein erster Profitrainer. «Carter half mir von allen Freunden und Coaches am meisten. Ich habe viel von ihm gelernt. Er hat mir technisch alles beigebracht», erzählt Federer. «Er hat mir aber auch Werte vermittelt. Etwa, vor jeder Person Respekt zu haben, egal, ob sie berühmt ist oder nicht.» Mit Carter beginnt sein Weg zum Tennis-Star. Doch 2002 stirbt der Mentor bei einem Autounfall während der Flitterwochen in Südafrika. Roger hatte ihm und Ehefrau Silvia Südafrika sogar noch als Reiseziel empfohlen!
Carters Tod wird zu einem Schlüsselmoment in Federers Karriere: «Ich war noch nie zuvor so traurig in meinem Leben. Ich war das erste Mal auf einer Beerdigung.» Da habe er verstanden, dass alles andere – auch Tennis – nicht so wichtig ist. Er überwindet seine Angst vor dem Verlieren. «Es war ein Weckruf.» Von diesem Moment an habe er sich nicht mehr nur auf sein Talent verlassen, sondern auch hart zu arbeiten begonnen. Ein Jahr später gewinnt er seinen ersten Grand-Slam-Titel in Wimbledon und widmet ihn seinem verstorbenen Trainer. 2004 wird er nach dem Sieg am Australian Open erstmals die Nummer 1 der Welt. «Carter hätte nie gewollt, dass ich mein Talent verschwende», weiss Roger.
Noch heute treiben ihn die Worte und Lektionen von Carter an, sind die Quelle seiner Kraft. Wie sehr Carter für Federer noch präsent ist, erlebt die Welt kürzlich vor laufender Kamera. Eine CNN-Reporterin fragt ihn, was sein ehemaliger Trainer dazu gesagt hätte, ihn als 20-fachen Grand-Slam-Sieger zu sehen. Das bringt das Tennis-Ass dermassen aus dem Konzept, dass er hemmungslos zu weinen beginnt, nicht mehr sprechen kann. Das Interview muss unterbrochen werden. Federer sagt nachher: «Meine Güte, so bin ich noch nie zusammengebrochen.» Dass beim Basler die Tränen kullern wegen eines gewonnen oder auch verlorenen Matches, ist nichts Neues. Seine Familie kennt das – auch abseits des Courts wird er öfter emotional: «Etwa wenn ich Filme schaue, oder wenn wir nach den Ferien einen wunderschönen Ort verlassen und die Kinder nicht gehen wollen.»
Sein Talent hat er genutzt, wie es sich sein verstorbener Coach gewünscht hat. Auch dank der Unterstützung seiner Frau Mirka (40). Die ersten Blüten ihrer Liebe spriessen – wen wundert’s – in Down Under. Während der Olympischen Spiele 2000 in Sydney teilt Federer sich mit ihr – sie ist da noch aktive Tennisspielerin – und anderen Sportlern eine Wohnung. «Hier umarmten und küssten wir uns zum ersten Mal. Erst da merkte ich, dass ich mehr für Mirka empfand. So viel Tennis würde keine andere Frau ertragen. Sie organisiert unser Leben. Alle sagen, ich sei der Beste. Aber ich bin nur der Beste mit ihr an meiner Seite.»
Am Australian Open sehen seine Zwillingssöhne Lenny und Leo (beide 4) ihren Vater erstmals live Tennis spielen. Meist verbringt die Familie ihre Ferien in Australien. «Dieses Land ist für mich ein Lebensgefühl. Darum wird es für mich auch immer wie ein zweites zu Hause sein», sagt der Maestro.
Federer will dieses Jahr erstmals seit 2016 wieder auf Sand spielen. Für viele Anlass zu erneuten Spekulationen über seinen baldigen Rücktritt. Doch sein heutiger Coach Severin Lüthi winkt ab: «Wenn er sich dafür entschieden hätte, wäre eine andere körperliche Vorbereitung erforderlich.» Und Federer sagt: «Ich habe Lust auf Sand und fühle mich körperlich gut. Es hat mir in den letzten Jahren gefehlt.» Es sei ein Traum von ihm, noch einmal Roland Garros in Paris zu spielen. Am liebsten gegen Erzfeind Rafael Nadal (32) – und diesen dann auf dessen bevorzugter Unterlage zu schlagen. Carter wäre stolz, wenn sein Schützling sich nochmals so richtig ins Zeug legen würde.