Sascha Ruefer
Derselbe «Hitzgring» wie vor 25 Jahren
Sich Zeit nehmen fürs Private – das ist dem Sportkommentator heute wichtiger als früher. Aktuell steht aber der Job im Fokus: Es geht nach Katar an die Fussball-WM.
Bald fliegt er nach Katar, an seine siebte WM – dort kommentiert Sascha Ruefer (50) unter anderem das Eröffnungsspiel und den Final. Er sei gespannt, was da auf ihn zukomme.
GlücksPost: Auf jeden Fall erwartet Sie eine komplett andere Kultur.
Sascha Ruefer: Ja. Kaum je stand ein Ausrichterland im Vorfeld so im Fokus und in der Kritik wie Katar. Ich sehe es generell als Privileg meines Jobs an, dass ich mir vor Ort selbst ein Bild machen kann. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass die WM vieles kaschieren wird, ich keine Zeit für anderes als den Sport haben und nur einen kleinen Ausschnitt der Realität vor Ort erleben werde.
Aber Sie haben eine Meinung.
Natürlich. Ich habe sehr wohl mitbekommen, dass die Arbeitsbedingungen offenbar schlimm sind. Dass das Rechtsverständnis ein anderes ist. Auch die Kritik an der Menschenrechtslage im Land ist mir bewusst. Es ist utopisch, zu glauben, man könne nach Katar fliegen und in einem Monat eine Kultur verändern, die sich über Jahrhunderte verfestigt hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass in Südafrika danach etwas anders war, auch wurde in Brasilien nach der WM genauso viel Regenwald abgeholzt wie zuvor.
Doch es ist okay, auf Missstände hinzuweisen, oder?
Absolut! Das Aufzeigen von Missständen ist richtig und wichtig.
Sie haben in Katar einen Assistenten dabei, oder?
Ja, Renato Schatz, der mich bei der WM ausnahmsweise aus Zürich unterstützt. Der Job des Kommentators hat sich mit der technischen Entwicklung stark verändert. Heute sind die Fans bereits auf einem sehr hohen Informationsstand. Der Mehrwert, den ich als Kommentator bieten kann, besteht aus Einordnung und Erklärung. Hier unterstützt mich Renato: Er behält während der Spiele alle relevanten Daten im Blick, checkt die Informationskanäle und streut sein breites Fussballwissen mit ein.
Fürchten Sie nach so vielen Jahren eigentlich noch Aussetzer?
Davor ist man nie gefeit, aber sie sind mit Renato deutlich weniger geworden. Weil er mich auch mal in meiner Emotion bremst. Sie
sehen: Er ist für mich wie ein Sechser im Lotto (lacht).
Wie Ihre Freundin, Musikerin Eliane, wohl auch. Was hören Sie von ihr nach einer Partie?
«Du hast zum 200. Mal ‹obwohl› gesagt, achte dich mal darauf.» Oder: «Was ist los mit dir? Ich spüre nichts, hast keine Lust?» Als Musikerin hat Eliane ein Sensorium für diese wertvollen Zwischentöne.
Und Ihr Sohn, der bald neunjährige Matti, ist er immer noch kein Fan?
Alle meine Versuche, ihn zum Fussballfan zu machen, verliefen erfolglos im Sand. Ich muss Bayernspiele also immer noch alleine schauen. Matti hat andere Interessen, Reiten und Basketball etwa, und ich finde das super. Was nicht heisst, dass er nicht stolz auf mich ist. Wenn er sagt: «Papa, du darfst nichts anderes machen, es ist cool, was du machst», bedeutet mir das viel und ist mehr wert, als wenn er nachahmt, was ich gut finde.
Bälle zum Beispiel, richtig?
Ja, ich habe alle WM- und EM-Bälle seit 1970. Sie sind wie ein Fotoalbum, das ganz viele Geschichten enthält, auch solche, die ich selbst miterleben durfte. Ich habe sogar einen Originalball vom Spiel Spanien gegen Schweiz bei der WM 2010, das die Schweiz 1:0 gewann. Ich vergesse nie, wie ich da gejubelt habe und fast durchgedreht bin.
Sie fliegen von der WM direkt in die Weihnachtszeit.
Und darauf freue ich mich schon, weil ich ein grosser Weihnachtsfan bin. Die Zeit ist so besinnlich und grundsätzlich eher ruhig.
Genau das werde ich brauchen, um die Eindrücke von Katar zu verarbeiten. Ich freue mich dann aber auch extrem auf die Zeit mit Matti und mit Eliane.
Anderes Thema: Sie sind seit 25 Jahren bei SRF. Gibt es ein Schlüsselerlebnis in all der Zeit?
Es gibt nicht ein Schlüsselerlebnis, es gab ganz viele. Die Teilnahme an Olympischen Spielen, an WMs oder EMs, all die vielen Sendungen, die ich moderieren durfte. Aber auch Momente, wie meine Suspendierung vor 22 Jahren. All das prägt einen.
Ihnen stieg der schnelle Aufstieg zu Kopf, Sie machten die Nacht zum Tag, kamen zu spät an Sitzungen.
Das ist etwas übertrieben. Aber ja, damals war ich etwas «dejustiert». Ich habe an vielem meine Hörner abgestossen, auch an meinem damaligen Vorgesetzten Urs Leutert. Er hatte es nicht leicht mit mir, machte es mir aber auch nicht leicht. Und das war wichtig für meine Entwicklung. Früher war ich ein Rebell, heute wohl eher manchmal etwas unbequem, aber konstruktiv und fürs grosse Ganze denkend. Man wird halt älter.
Sie sind 50, ein Alter, in dem viele neue Wege einschlagen – Sie?
Es gibt immer wieder Momente, in denen man die aktuelle Situation hinterfragt. Das ist normal. Aber ich habe SRF wie eintätowiert in mein Seelenleben. Dass ich bin, wer ich bin, dass sie heute um meine Meinung fragen, ich moderieren oder kommentieren darf, ist einzig dem Umstand geschuldet, dass SRF mir die Chance dazu gab. Ich bin ein grundloyaler Mensch. Und in Umbruchzeiten wie diesen möchte ich als langjähriger Mitarbeiter eine Art Pfeiler sein. Vielleicht kann ich so dem Unternehmen etwas zurückgeben. Ich gehöre dazu, bin stolz darauf und stehe für die Sache ein.
Was wurde wichtiger mit der Zeit?
Die Work-Life-Balance. Ich freue mich, mit Eliane und Matti an einem schönen Ort zu sein und durchzuatmen. Über Zeit im Freien, etwa mit einem feinen Glas Wein und einer Zigarre im Garten zu sitzen. Ruhe und Gelassenheit, nichts zu müssen. Aber das Alter an sich interessiert mich nicht. Es gibt Leute, die sich darüber definieren, ich gehöre nicht dazu, bin noch derselbe «Hitzgring» wie vor 25 Jahren.
Gibt es etwas, was Sie bedauern beim Rückblick auf all die Jahre?
(Überlegt.) Vielleicht, dass ich in der Unterhaltung nicht mehr präsent bin. Es hat Spass gemacht, die «Starnacht am Wörthersee», den «Grand Prix der Volksmusik» oder den «Schlagersommer» zu moderieren. So was würde ich gerne wieder tun. Allerdings gilt auch hier: Fernsehen verändert sich. Vielleicht kommen diese Shows dereinst ja wieder, wie «Wetten dass …?» oder «Benissimo». Mal sehen.