Der Böse ist ein Mathe-Student

Der dominierende Schwinger der letzten beiden Saisons ordnet dem Sport alles unter. Der Berner hat grosse Ziele, unter anderem den Königstitel. Dafür trainiert er hart.

Von Irene Lustenberger

Zum ersten Mal seit seinem Sieg am Jubiläumsschwingfest in Appenzell Anfang September betritt Fabian Staudenmann (24) den Schwingkeller in Bern. Nach drei Wochen Pause hat der momentan beste Schwinger der Schweiz Anfang Oktober wieder mit dem Athle­tiktraining und Ende Oktober mit dem Schwingtraining begonnen. 

In den vergangenen beiden Saisons war Fabian Staudenmann der überragende «Böse», holte sieben (2023) und sechs Kranzfestsiege (2024) und gewann die Jahreswertung. «Ich habe diese nie als Ziel definiert, aber sie bedeutet mir schon etwas. Es ist ein Zeichen, dass die Konstanz stimmt. Ich hatte aber auch das Glück, dass ich zwei Jahre lang mehrheitlich gesund war und an den geplanten Festen teilnehmen konnte.» Ausser am Unspunnenfest im vergangenen Jahr, wo ihn ­Samuel Giger (26) bodigte, verlor Staudenmann keinen einzigen Gang. Zur einzigen Niederlage sagt der 1,91 Meter grosse und 110 Kilo schwere Berner: «Niederlagen ­gehören zum Sport, und ich bin um eine Erfahrung reicher. Samuel Giger war an diesem Tag besser als ich. Und weil er nicht schlechter wird, muss ich besser werden, um ihn zu schlagen.»

Über Umwege zum Sport

Aufgewachsen ist Fabian Staudenmann mit zwei jüngeren Geschwistern in Guggis­berg im Berner Mittelland. Seit rund einem Jahr wohnt er in der Stadt Bern. «Ich gehe immer gerne heim. Dort kennt jeder jeden, was ich als entschleunigend em­p­finde. In Bern ist es etwas hektischer und anonymer. Was aber nicht heissen soll, dass es mir hier nicht gefällt. Die Kombination aus Land und Stadt passt sehr gut zu mir. Mit dem Umzug hat sich der Reiseaufwand reduziert, dies zugunsten der ­Regeneration», erzählt er. Im Vergleich zu anderen ist er relativ spät zum Schwingen gekommen. «Ich war als Kind im Skiclub. Weil ich nicht gerade das schlankste Kind war, meinten meine Eltern, dass mir mehr Bewegung nicht schaden würde.» Kurz nach dem ESAF 2010 fand der eidgenös­sische Schwinger-Schnuppertag statt. «Ich ging dort hin und bin dann bei diesem Sport geblieben», erinnert er sich. Seinen ersten Kranz gewann er 2017 am seeländischen Schwingfest, den ersten Kranzfestsieg feierte er 2021 am Mittelländischen. 

Mittlerweile holte Fabian Staudenmann 55 Kränze (davon 2 eidgenössische) und 15 Kranzfestsiege. Der Sieg am Jubiläumsschwingfest war sein zweiter an einem eidgenössischen Anlass, reüssierte er doch 2021 zusammen mit Giger und Damian Ott (24) am Kilchberger Schwinget. Die Tatsache, dass er auch in Appenzell nicht alleine an der Spitze stand und den Sieg mit Fabio Hiltbrunner (19) teilte, ist die einzige Parallele zwischen seinen beiden grössten Triumphen. «Emotional kann man die beiden Siege aber nicht vergleichen», sagt er. «Der Sieg am Kilchberger kam eher überraschend, in Appenzell gehörte ich zu den Favoriten. Deshalb war die Ausgangslage am Morgen völlig anders. Am Schluss konnte ich aber beweisen, dass ich auch unter Druck liefern kann.» 

Das Schwingen als oberste Priorität

Der gelernte Automatiker befindet sich im dritten Semester seines Mathematik-­Studiums an der Universität Bern. «Mathe ist grundsätzlich erklärbar und theoretisch greifbar. Es gibt nur richtig oder falsch»,
erklärt er, weshalb er diese Fachrichtung ergriffen hat. Ziel ist, nach dem Studium in der Erwachsenenbildung tätig zu sein. «Aber bis dahin fliesst noch viel Wasser die Aare hinunter.» Weil sein ganzes Augenmerk dem Schwingen gilt und er alles dem Sport unterordnet, studiert er Teilzeit. «Ich bin jetzt im besten Schwinger­alter, diese Zeit kommt nicht zurück. Deshalb geniesst das Schwingen oberste Priorität.» Das Studium sei modular aufgebaut und deshalb gut machbar.

Um der Beste im Schwingsport zu sein, trainiert Fabian Staudenmann hart. So absolviert er jeden Morgen ausser sonntags ein Athletiktraining. Zusätzlich ist er viermal pro Woche in einem Schwingkeller anzutreffen. Im Schwingklub Schwarzenburg greift er unter anderem mit den ­Eidgenossen Michael Ledermann (24) und Severin Schwander (28) zusammen. Auch der Worblentaler Adrian Walther (23) – auch er einer der momentan
Besten – gehört regelmässig zu seinen Trainingspartnern. «Ziel ist eine möglichst hohe Trainingsqualität. Und je besser die Gegner im Training sind, desto besser kann man selber werden», resümiert er.

In der nächsten Saison wird Staudenmann erneut der Gejagte sein. Höhepunkt ist das ESAF in Mollis GL Ende August. «Bis dahin hofft jeder Schwinger, dass er gesund bleibt. Und auf der anderen Seite muss man clever und hart trainieren.» Auch wenn der Berner es nicht ausspricht, ist das Ziel klar: der Königstitel. Ihm ist bewusst, dass der Grat zwischen Selbst­bewusstsein und Überheblichkeit schmal ist. «Aber eigentlich ist es doch klar, dass jeder Sportler der Beste sein und Siege ­feiern will. Sonst müsste man ja nicht mehr trainieren.»

Ansonsten hat der 24-Jährige sehr boden­ständige Träume: «Im Leben glücklich und gesund sein. Und schwingerisch wünsche ich mir, eine möglichst lange verletzungs­freie Zeit und viele schöne ­Momente erleben zu dürfen. Dies hängt unter anderem mit guten sportlichen Resulta­ten zusammen.»