Ferdy Kübler
Das Leben mit 97 Jahren ist für die Radlegende sehr beschwerlich
Dass es einigermassen erträglich ist, dafür sorgt ein Engel an seiner Seite: seine Ehefrau Christina.
«Ich rate dir, nicht 97 Jahre alt zu werden», empfahl Radsport-Legende Ferdy Kübler (97) kürzlich seinem Nachfolger Fabian Cancellara (36). «So alt zu werden, ist nämlich nicht schön. Ich bin immer so müde. Das Atmen fällt mir seit einiger Zeit so schwer. Ich brauche Unterstützung und immer wieder Sauerstoff.»
Das sagt einer der härtesten Sportler, den die Schweiz je erlebt hat. Jetzt aber liegt Ferdy Kübler in seiner grosszügigen Attikawohnung in Birmensdorf ZH meistens im Bett. Er kann kaum mehr gehen. Für die Handreichungen des täglichen Bedarfs braucht er Hilfe. Selten sieht er fern – wenn, vor allem bei der Tour de France, der Tour de Suisse und bei den Rad-Eintages-Klassikern. Aber Ferdy Kübler hat einen Engel zu Hause: seine Frau Christina (68). Sie umsorgt und pflegt ihn. Tröstet ihn, wenn er in ein Loch fällt, und baut ihn dann wieder auf. «Christina ist mein Engel», schwärmte Ferdy vor über einer Million Schweizern am TV, als er 2010 den «Lifetime Award» für sein Lebenswerk erhielt. «Ohne meine liebe Frau könnte ich gar nicht mehr leben», sagte er mit belegter Stimme über sein Schätzeli. «Sie ist eine ganz tolle Frau.» Im Publikum schlagen die Emotionen hoch. Taschentücher werden gezückt. Ferdy Kübler war schon 1983 zum «populärsten Schweizer Sportler der vergangenen 100 Jahre» gekürt worden.
Sechs Jahre nach dieser grossen Ehrung ist der einstige Rad-Gigant am Ende seiner Kräfte. Ferdy leidet sichtlich, ist aber geistig voll da. Er weiss noch jedes Detail aus seiner Jahrhundert-Karriere. Erzählt voller Begeisterung und Stolz, wie er die Konkurrenten 1950 in Varese (I) auf den letzten Metern niederrang und Weltmeister wurde. Die Helden der Strasse von damals haben – wie Ferdy Kübler – unter sengender Hitze, bei strömendem Regen und unter Schneeschauern während vieler Stunden die höchsten Pässe unter die Räder genommen. Sie haben auf ungeteerten Landstrassen Staub geschluckt, auf Etappen, die – im Gegensatz zu heute – bis zu 500 Kilometer lang waren. Ferdy hat sich gegen die grössten Gegner der damaligen Zeit durchgesetzt, und für all diese Strapazen hat er im Vergleich zu heute nur gerade ein Trinkgeld bekommen. Kübler wurde bewundert, sein Gegenpart Hugo Koblet († 1964), der «Pédaleur de Charme», geliebt, vor allem von den Frauen. Aber es war letztendlich der «Adler von Adliswil», der sich vom Ausläufer zum Rad-Superstar hochstrampelte und dafür die bereits erwähnten ewigen Lorbeeren erhielt. Ein harter Hund, ein «Chrampfer», der immer alles gab und den man nicht zuletzt deswegen auch «Pédaleur fou» nannte, den verrückten Velofahrer.
Nun haben den «Tour de France»-Sieger von 1950 die Kräfte verlassen. Er ist vom Alter gezeichnet und leidet sichtlich. «Dann», so seine Frau Christina, «sagt er manchmal, dass er gerne sterben würde. Weil er einfach nicht mehr leiden mag. Wenn ihm wieder alles weh tut und er sich ohne fremde Hilfe nicht mal im Bett umdrehen kann.» Eine Minute später könne aber alles wieder ganz anders sein. «Solange mein Mann bei mir ist, kann er nicht loslassen. Er will mich einfach nicht verlieren, er will nicht weg von mir. Und vor allem will er mich nicht alleine zurücklassen.»
Ferdys Engel Christina ist kein Handgriff zu viel für ihren geliebten Mann. «Gestern hatte er eine sehr schlechte Phase, heute ist ein anderer, ein besserer Tag», erzählt sie. «Im Sommer ist es natürlich besser als jetzt in der kalten und dunklen Vorwinterzeit. Wenn die Sonne wärmend auf unseren Wintergarten scheint, erwachen seine Lebensgeister. Früher gingen wir bei diesen Gelegenheiten zuweilen noch Golf spielen.» Der Golfsport war lange Ferdys Lebenselixier. Christina: «Auf dem Golfplatz Freunde zu treffen, gehörte jahrelang zu unserem Ritual.» Im Moment sei aber an Golf nicht einmal zu denken.
Ein Leben ohne Ferdy kann sich Christina Kübler nicht vorstellen. Doch dass diese Zeit kommen wird, ist ihr schmerzlich bewusst.