Erika Reymond-Hess
Das Leben geht weiter – aber Jacques ist immer da
Vor drei Jahren verlor die Ski-Legende ihren Lebensgefährten und Seelenverwandten, Ehemann Jacques Reymond. Heute steht sie wieder fest im Leben. Das gelang dank ihrem Umfeld, vor allem ihren Söhnen. Und der immer grösser werdenden Schar Enkelkinder.
Das erinnert mich daran, wie Jacques und ich waren», sagt Erika Reymond-Hess und schaut versonnen ihrem Sohn Fabian und dessen Tochter Chloé zu. Der 34-Jährige eilt der Vierjährigen auf seinen Inlineskates zu Hilfe – sie ist mit ihrem Holzrad auf dem Outdoorparcours hingefallen. Ohne zu weinen steht sie tapfer auf und fährt weiter. Ihre Schwester Eva (2) sitzt derweil am Rande der Wiese und bestaunt die kleine Welt, die sich vor ihren Augen auftut. «J’adore ça!» (Ich liebe das), schwärmt die ehemalige Skirennfahrerin beim Anblick ihres Enkelkindes, das so ganz in sich versunken ist. Öfter verfällt die Nidwaldnerin in die französische Sprache, die sie perfekt spricht – seit sie ihren einstigen Trainer Jacques Reymond († 69) geheiratet und zu ihm in die Romandie gezogen ist.
Die GlücksPost trifft die Ski-Legende, ihren ältesten Sohn und dessen zwei Töchter im Centre Mondial du Cyclisme in Aigle VD. Am Vormittag war Fabian mit seinen Kindern Ski fahren, nun toben sie sich hier aus. Erika und ihr verstorbener Mann Jacques haben es ihren drei Söhnen so vorgelebt, sie von klein auf in gemeinsame, meist sportliche Tätigkeiten eingebunden. «Das hat nichts damit zu tun, dass sie einmal Spitzensportler werden sollen», erklärt Erika Reymond-Hess. «Das Ziel ist, dass man etwas zusammen unternehmen kann, das ist wunderschön und verbindet. Mit Sport geht das halt sehr gut, die Kinder lernen schnell.» Fabian Reymond – von ihm stammen die Bilder dieser Geschichte, die während der Skiferien der Familie im März entstanden sind – fügt an: «Ich gehe auch nie alleine Fotos machen. Meine Frau und die Kinder sind immer dabei. Chloé nimmt jeweils einen Stein als ‹Kamera› und ahmt mich nach.» Seine Töchter waren schon mit dabei, als sie noch gar nicht stehen konnten: «Ich nahm sie beim Wandern im Rucksack mit. Oder beim Velofahren im Anhänger.»
Familie ist das höchste Gut der Reymonds. Als Jacques kurz nach Ausbruch der Pandemie an den Folgen einer Covid-Erkrankung Anfang Mai 2020 starb, hatte Erika ihm versprochen, alles zu tun, damit er stolz sein kann auf seine Liebsten. Eben haben ihre Söhne, Schwiegertöchter und Enkelinnen Erikas 61. Geburtstag gefeiert mit einer Skiwoche in La Fouly VS, nahe der italienischen und französischen Grenze. Das kleine Skigebiet ist abgelegen, das Chalet mit dem Holzofen heimelig. Fabian hat den Kuchen gebacken, die Enkelkinder servierten ihn. Am Geburtstag selber war nur Fabians Familie in La Fouly. Nicolas (32) und seine Frau, die Erika im Juni 2021 zwei weitere Enkelkinder – Zwillinge – geschenkt haben, und Marco (28), der dieses Jahr entschieden hat, aus dem aktiven Skirennsport auszusteigen, kamen später in der Woche dazu. Voller Freude zeigt uns Erika Reymond-Hess Fotos der beiden süssen Kleinen. Und Handy-Videos, auf denen sie mit Chloé und Eva die Skipisten bewältigt. Das ältere Mädchen fährt bereits allein, die Kleinere hält sich an Omas Skistock. Diese erzählt vergnügt: «Eva schaffte es in diesen Ferien erstmals allein auf den Schlepplift!»
Solche Momente halten Erika Reymond-Hess auf den Beinen und lassen sie strahlen. Obwohl Jacques’ dritter Todestag naht. «Er ist noch sehr präsent, je nachdem, wo wir sind. Es gibt so viele schöne Erinnerungen.» Die sollen aber nicht wachrufen, was verloren gegangen ist, sondern, welches Glück einem geschenkt wurde. «Das Leben ist zu kurz, um zu trauern. Wir haben so viele Sachen mit Jacques gemacht und von ihm gelernt – das hört nicht einfach auf. Wir nehmen das Positive mit und leben weiter.» Es sei ein Segen, dass sie so gut miteinander auskämen und einander das Recht zustünden, glücklich zu sein. «Es wäre im Sinne von Jacques, dass wir aus dem Leben etwas machen.»
Dieser Familienzusammenhalt fing sie nach dem Tod ihres Mannes auf. «Ich konnte am Boden bleiben und nehmen, was kommt. Meine Söhne halfen mir, jeder da, wo er konnte. Und sie tun es immer noch», sagt die Erfolgssportlerin voller Dankbarkeit. Mitten in der grössten Trauer stand sie vor einem riesigen, erdrückenden Berg – all die Dinge, die Jacques stets erledigt hatte: «Er war mein Manager bis zum Tod. Ich war lediglich Manager daheim. Alles, was er gemacht hat, musste ich lernen und übernehmen.» Auch hier standen die Söhne bereit, zu helfen und mitzutragen. «Ich will auf eigenen Beinen stehen», betont Erika, «und kein Sorgenkind für meine Familie sein. Im Gegenteil: Sie sollen sich an mir halten können, dafür will ich stark sein.» In der Tat ist es erstaunlich, wie gefasst sie stets über ihren grossen Verlust sprechen kann, wie sie wieder mitten im Leben steht, lacht und sich an kleinsten Dingen erfreut.
Fabian vermisst den Austausch mit seinem Vater: «Wenn wir etwas unternehmen, würde ich ihm so oft gerne davon erzählen. Vor allem von den Mädchen.» Erika stimmt zu: «Wenn er die Kleinen sehen könnte: Er wäre ein solch stolzer Grossvater!» Auch Jacques’ Ratschläge fehlen dem Ältesten der Söhne: «Es gibt Momente, in denen ich ihn gerne nach seiner Meinung fragen würde.» Der Air-Glacier-Pilot hätte gerne gewusst, was Jacques von seinem Plan hält, Fluginstruktor zu werden. Offenbar nahm er an, dass der Vater das beglückwünscht hätte: Neben seinem Job als Rettungs- und Transport-Pilot lernt er nun auch andere das Fliegen. «Kurz bevor Jacques starb, gab Fabian uns noch Flugstunden», erzählt Erika Reymond-Hess begeistert. «Er hat den Heli gestartet, auf die richtige Flughöhe gebracht, dann durften wir den Steuerknüppel bedienen. Es war ein solches Glück, dass wir das noch erlebt haben!»
An Jacques’ Todestag am 7. Mai wird Erika wie jedes Jahr um den Lac de Joux laufen. Heuer begleiten sie ein paar Freundinnen. «Dieser Rundgang wird zu einer Tradition für mich», weiss sie jetzt schon, denn hier ist sie Jacques ganz nah – auch wenn es ganz viele andere Orte gibt, an denen sie an ihn denkt. Fabian, Nicolas und Marco verstreuten die Asche ihres Vaters in diesem See. Im Vallée de Joux, nah am Wasser, ist Jacques aufgewachsen. Sein Elternhaus war die erste Bleibe des damals noch jungen Paars. Und heute wohnt Nicolas mit seiner Familie darin. Erika und Jacques zogen später nach Saint-Légier am Ufer des Genfersees. Marco wohnt noch zu Hause. Erika ist froh darüber. Er ist ihr Ansprechpartner in allem, was das Skifahren betrifft. Und Pistenchef in den von der Familie organisierten drei Skirenntagen, die jeweils Ende März stattfinden: je eines in Les Diablerets VD, in Les Pléiades VD und in La Fouly. «Marco macht jetzt das letzte Jahr seiner Lehre als Hochbauzeichner. Das war bereits so mit dem Betrieb abgesprochen, als er anfing, Skirennen zu fahren.» Marco überlege sich allerdings, ob er nach Abschluss seiner Ausbildung in einem anderen Bereich im Skizirkus bleiben will. Er hilft ja bereits bei den Erika Hess Open, den drei Skirenntagen für alle Altersklassen. Vielleicht wird er sie einst übernehmen und im Namen seiner Mutter weiterführen.
Erika hat ihre nächste Aufgabe bereits im Blick: ihre süssen Zwillingsenkel sicher auf die Ski stellen. Sie kann es kaum erwarten: «Da habe ich noch einiges zu tun, bis sie gut fahren können», meint sie strahlend. Die Freuden des Familiensports erwarten jedes neugeborene Reymond-Kind und damit seine Integration in den immer grösser werdenden Clan.
Die vierfache Grossmutter schaut aber auch, dass sie Zeit für sich und neue Herausforderungen hat. So begann sie vor rund zwei Jahren, Golf zu spielen. Leider hatte sie bisher nur wenig Gelegenheit, den Sport so zu verfolgen, wie sie es gerne würde. «Ich wollte schon länger intensiver trainieren.» Dafür hat sich nun kurzfristig eine Gelegenheit ergeben: Für eine geführte Golfwoche im Süden war noch ein Platz frei, und sie entschied sich spontan, hinzureisen und sich nur auf Green, Put, Par und vielleicht einem Hole in One (Spielen einer Bahn mit einem einzigen Schlag) zu beschäftigen.
Jacques Reymond, das liebenswerte und grosszügige Familienoberhaupt, würde das alles garantiert mit Wohlwollen verfolgen.