Werkzeugkoffer für die Seele
Der mehrfach ausgezeichnete deutsch-niederländische Wissenschaftsjournalist Bas Kast (50) leidet seit 2013 an einer Verengung der Herzkranzgefässe. Nach einem Anfall von Angina pectoris beim Joggen im Alter von 40 Jahren stellte er seine Ernährung um und recherchierte drei Jahre lang für sein 2018 erschienenes Buch «Der Ernährungskompass».
GlücksPost: Nach Ihrem Buch «Der Ernährungskompass» ist nun auch Ihr neues Buch «Kompass für die Seele» ein Bestseller. In Anbetracht von Krisen, Krieg und Zukunftsängsten, welche viele Menschen ver-unsichern, erstaunt Sie dieser Erfolg wahrscheinlich nicht?
Bas Kast: Ein Bestseller ist für mich nie selbstverständlich, ich bin sehr glücklich darüber. Auf der anderen Seite ist es bedauerlich, dass das Thema Stress und wie man ihn in den Griff bekommt gerade in den vergangenen Jahren noch mehr Menschen umgetrieben hat als sonst. Vielen von uns geht es leider nicht gut. Zum Glück aber können wir auch selbst einiges tun, um unsere Stress-Resilienz zu stärken und unser Wohlbefinden zu heben.
Wie können wir lernen, schwierige Begebenheiten im Leben anzunehmen, ohne dass wir dadurch in eine persönliche Krise geraten?
Wir können unsere Stress-Resilienz bewusst trainieren. Wenn wir zum Beispiel fasten, eine kalte Dusche nehmen, in die Sauna oder eine Runde joggen gehen, stressen wir damit auf selbstkontrollierte Weise unseren Körper. Beim Eisbad geht das so weit, dass man nur noch keuchen kann. Es ist, als würde man eine Panikattacke bekommen. Allmählich aber beruhigt sich dann der Körper wieder. Im Grunde bekommen wir die «Panikattacke» in den Griff. Wir üben uns also in Stress-Resilienz, indem wir unseren Körper immer wieder gezielt kurzfristig stressen. Damit ist auch unsere Psyche besser gewappnet, wenn es das nächste Mal das Leben ist, das uns stresst. Mit anderen Methoden und Techniken, etwa der Meditation oder der stoischen Philosophie, kann man darüber hinaus lernen, das, was ist, mehr und mehr zu akzeptieren, statt ständig innerlich dagegen anzukämpfen.
Was macht die Menschen heute Ihrer Meinung nach denn psychisch und auch physisch krank?
Ein Aspekt, der eine massgebliche Rolle spielt, liegt meines Erachtens darin, dass unser Lebensstil sehr stark von dem abweicht, woran sich unser Organismus über Millionen von Jahren in der afrikanischen Ur-Savanne angepasst hat. Damals haben wir uns ganz von selbst jederzeit reichlich Sonnenlicht ausgesetzt – heute sitzen wir in dunklen Büros. Damals hatten wir immer mal wieder Hunger – heute essen und snacken wir rund um die Uhr. Damals mussten wir uns bewegen, um satt zu werden. Viele von uns sind in der heutigen Arbeitswelt am produktivsten, wenn sie möglichst viel sitzen. Unsere Wohlstandsgesellschaft sug-geriert uns, dass es alles im Übermass gibt, dabei ist vieles von dem, was einst selbstverständlich und wichtig für unseren Körper wie auch für unsere Seele war, verschwunden. Wir müssen uns aktiv darum kümmern.
Sie nennen zehn Strategien, die die Seele stärken sollten. Darunter fallen unter anderem Schlaf, Meditation, Ernährung und Sport.
Dieser hat scheinbar einen sehr positiven Einfluss auf die Widerstandskraft der Seele. Sport und Bewegung lindern nicht nur handfeste Depressionen, sondern heben auch die Stimmung, bauen akuten Stress ab und stärken langfristig die Stress-Resilienz, wenn wir nicht unter Depressionen leiden. Aber das Schöne ist, dass es über Sport hinaus eine Vielfalt von Strategien gibt, um die Stimmung zu stärken, denn nicht jeder hat Lust auf Sport. Nicht jeder kann sich mit kalten Duschen anfreunden, der oder die könnte dann zum Beispiel versuchen, die Ernährung umzustellen oder eine Meditationspraxis aufzunehmen. Mit meinem Buch versuche ich, einen «Werkzeugkasten für die Seele» zur Verfügung zu stellen, bei dem man sich bei Bedarf bedienen kann. Bei alledem kommt es auch darauf an, das eine oder andere einfach mal auszuprobieren.
Auch die Natur beeinflusst das Seelenleben positiv. Viele Kinder -haben Ihrer Meinung nach ein «Naturdefizit-Syndrom», was meinen Sie damit konkret?
Experimente belegen, dass Aufmerksamkeitsdefizite bei Kindern mit einem Naturausflug in etwa so wirksam bekämpft werden können wie mit dem gängigen Medikament Ritalin. Die Natur ist insofern einzigartig, als ihre Reize unser Aufmerksamkeitssystem nicht überfluten, wie die übliche Multitasking-Onlinewelt oder teils auch die Grossstadt. Umgekehrt ist die Natur auch nicht so reizarm, dass sie uns langweilen würde. Meeres-wellen oder eine Berglandschaft faszinieren unsere Sinne, ohne -diese zu strapazieren wie ein Computerspiel. Deshalb kann sich unser Aufmerksamkeitssystem in der Natur so gut erholen. Die Natur fördert nachweisbar auch körperliche Heilprozesse, wie eine klassische Studie im Wissenschaftsmagazin «Science» bereits vor Jahrzehnten nachgewiesen hat. Seitdem nehmen auch Forscher die Natur als Heilquelle eine Spur ernster.
Was sollten wir Ihrer Meinung nach unbedingt täglich für unser seelisches Wohlbefinden tun?
Wir müssen sogenannte «Kurorte für die Seele» im Kleinen in unseren Alltag einbauen. Nichts gegen einen entspannenden Fernsehabend, aber diese Zeit liesse sich auch für einen Spazier- oder Saunagang oder eine Meditation nutzen. Wir kleben inzwischen mehr als drei Stunden täglich am Handy. Vielleicht wären zwei auch genug. Die freigewordene Stunde liesse sich dann für eine Strategie verwenden, mit der wir unser Wohlbefinden wirklich stärken. Ich würde sagen: Klein anfangen, mit ein paar Minuten am Tag und auch da gucken, was einem liegt, was wirkt, was nicht. Und dann, bei Bedarf, behutsam die Dosis steigern.