«Sehr erheitert uns die Prise»

Bevor der Schnupftabak als Genussmittel die Schweizer Landbevölkerung erreichte, wurde an den Königshöfen von Paris, Madrid und vor allem ­London geschnupft. Die Mediziner jener Zeit verschrieben ihn als Erkältungs- oder Kopfweh­mittel.

Als Prinzessin Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz 1761 nach London einschifft, um die Frau des britischen Königs George III. und die Mutter der späteren Königin Victoria zu werden, bringt sie den Briten die Freude an der Musik von Mozart mit. Und die Kultur des Weihnachtsbaums.

Im Gegenzug übernimmt sie vom Vereinigten Königreich die Tradition des Schnupftabaks. Tout London schnupft, seit Europas erste Amerikasegler den Tabak an die Höfe Spaniens, Frankreichs und Grossbritanniens geliefert haben. Später bringt die britische Seemacht ein spanisches Schiff ums andere auf, erbeutet den geladenen Tabak. Und bald schon trägt die britische Königin Charlotte den Übernamen «Snuffy Charlotte» – «schnupfende Charlotte».

Heute sind es in der Schweiz Soldaten in Uniform, Piloten in Zivil und Après-Ski-Touristen im Faserpelz, die dem Laster aus der britischen Regency-Zeit vor 200 Jahren frönen. Und wo immer bei uns auf dem Land zwei, drei Handwerker zusammenstehen – etwa auf dem Pausenareal der Gewerbeschule –, wiederholt sich das Ritual: Schnupftabak auf dem Handrücken portionieren, Daumen und kleinen Finger abspreizen, Schnupfspruch – «Priis!»

Schnupftabak ist ein Genussmittel, das aus pulverisiertem und fermentiertem Tabak besteht, dem Zusatz- und Aromastoffe beigefügt werden. Es enthält die psychoaktive Substanz Nikotin, ein Nervengift. Dieses gelangt nach dem Einziehen durch die Nasenöffnung in den Blutkreislauf und ins zentrale Nervensystem. Dort entfaltet es eine stimulierende, entspannende, angstlösende und bewusstseinsverändernde Wirkung. Es fördert das Wachsein und die Konzentration.

Das Schnupfen gilt als weniger schädlich als das Tabakrauchen, da beim Konsum kein Kohlen­monoxid und keine krebs­erregenden Verbrennungs­produkte wie Benzol, Teer oder Blausäure entstehen. Dennoch: Der Schnupftabak enthält sogenannt karzino­gene (krebs­erzeugende) Substanzen. Schnupftabak ist eine Droge und kann wegen seines ­Nikotingehalts abhängig und süchtig machen; wer regel­mässig schnupft, schädigt die Nasenschleimhaut und muss mit verstopfter Nase, ständigem «Schnudder», chronischer ­Rhinitis (Entzündung), einem Ödem (Schwellung) oder Schleimhautveränderungen rechnen. Ob Schnupftabak Krebs auslöst, wird von ­Medizinern kontrovers dis­kutiert. ­Allein fest steht, dass schnupfende Raucher ein deutlich ­höheres Risiko für ­Nasenkrebs haben als schnupfende Nichtraucher.

Wie viele Genussmittel stand auch der Schnupftabak erst in medizinischen Diensten. Er war ein Transportvehikel für Arzneistoffe, beispielsweise Menthol und Kampfer, die zur Behandlung von Erkältungskrankheiten sowie bei Muskel- und Gelenkschmerzen sowie migräneartigen Kopfschmerzen angewendet wurden. Daneben verschrieben Ärzte Schnupftabak gegen Schlaflosigkeit und Zahnschmerzen.

Nomen est omen: Im Alpenraum wurde dem Schnupf­tabak gelegentlich Nieswurz (Christrose) beigemischt – auf dass es aus dem Schnupfer tüchtig herauspruste.

Oder wie dichtete schon der grosse Wilhelm Busch? «Ja! – Sehr erheitert uns die Prise, ­vorausgesetzt, dass man auch niese!»