Nicht alles ist gleich Alzheimer!
Fast jeder wurde schon in irgendeiner Form mit der verbreiteten Erkrankung konfrontiert. Doch nicht jede Vergesslichkeit ist ein Symptom dafür. Und nicht jede Demenz-Erkrankung ist Alzheimer.
Einen Namen vergessen, einen Gegenstand verlegt, einen Termin verschwitzt – und schon regt sich ein grässlicher Verdacht. Sind das etwa erste Anzeichen von Alzheimer?
Tatsächlich macht sich die gefürchtete Demenzerkrankung im Anfangsstadium durch Gedächtnisstörungen bemerkbar. Später gehen auch Erinnerungs- und Orientierungsvermögen verloren, die Persönlichkeit verändert sich. Ausgelöst wird dies alles durch ein Absterben von Nervenzellen im Gehirn. Der Grund ist bislang unbekannt, man weiss aber, das bereits Jahre vor den ersten Symptomen im Gehirn krankhafte Eiweissablagerungen, sogenannte Plaques, gebildet werden und dass sich die Gehirn-Botenstoffe, die sogenannten Neurotransmitter, verändert haben.
Doch längst nicht jedes Hirn, das seinen Besitzer ab und zu im Stich lässt, hat Alzheimer. Auch Erkrankungen wie Stoffwechselstörungen, Mangelzustände oder Infektionen können dazu führen, dass das Hirn nicht mehr genauso funktioniert, wie man es gewöhnt ist. Und sogar Stresssituationen oder Depressionen können leichte Hirnleistungsstörungen verursachen.
Eine Fachfrau auf diesem Gebiet ist Dr. Irene Bopp-Kistler, leitende Ärztin an der Memory-Klinik des Stadtspitals Waid in Zürich. Die GlückPost befragte sie.
GlücksPost: Wenn das Gedächtnis nachlässt, denkt man gleich an Alzheimer. Das muss nicht sein, oder?
Frau Dr. Bopp: «Alzheimer ist zwar die häufigste Demenzform, es gibt aber auch andere Formen von Hirnleistungsstörungen. Nur 50 Prozent der Demenzerkrankungen sind auf Alzheimer zurückzuführen. Zudem kann die Hirnleistung auch durch körperliche Erkrankungen beeinträchtigt werden, insbesondere durch Stoffwechselstörungen, Mangelzustände oder Infektionen.
Welches sind die häufigsten Demenzerkrankungen neben Alzheimer? Und äussern sie sich gleich?
Nach der Alzheimer-Krankheit ist die Lewy-Body-Demenz die am häufigsten vorkommende Form von Demenz. Sie zeigt ein Parkinson-ähnliches Krankheitsbild, Gedächtnisstörungen stehen hier am Anfang nicht im Vordergrund. Es gibt aber auch Demenzerkrankungen, bei denen von vorneherein eine starke Veränderung der Persönlichkeit auftritt. Das ist typisch für die Stirnhirndemenz. Bei anderen Demenzerkrankungen sind zuerst die Sprache oder das Sprachverständnis gestört; zu dieser Form gehören die semantische Demenz oder die progressive Aphasie. Eine wichtige Demenzform wird durch Durchblutungsstörungen verursacht, häufig durch Arteriosklerose.
Ist es wichtig zu wissen, an welcher Demenzform jemand leidet?
Ja, eine frühzeitige Abklärung ist sehr wichtig. Auch wenn Demenzerkrankungen nicht heilbar sind, so gibt es sowohl medikamentöse wie auch milieutherapeutische Therapiemöglichkeiten, die den Verlauf positiv beeinflussen. Eine klare Diagnose bedeutet meistens eine Erleichterung, auch wenn sie schwerwiegend ist, für den Betroffenen und für die Angehörigen. Es ist einfacher, mit den Defiziten richtig umzugehen, wenn man weiss, woran man ist.
Alzheimer ist nicht heilbar, aber behandelbar. Wie sieht es damit bei den anderen Demenzerkrankungen aus?
Das Gleiche gilt im Prinzip auch für andere Demenzerkrankungen. Insbesondere kann man aber Hirnleistungsstörungen, denen körperliche Krankheiten wie Stoffwechselerkrankungen (z.B.Schilddrüsen-Erkrankungen), Mangelzustände (z.B. Mangel an Vitaminen) oder Arteriosklerose zugrunde liegen, heilen oder verbessern, wenn die Grunderkrankung behandelt wird.
Was ist das Wichtigste, wenn man die schwierige Diagnose Demenz bekommt?
Wichtig ist, dass die Menschen nicht allein gelassen werden, dass man sie begleitet. Und dass Angehörige rechtzeitig Entlastung suchen. Denn die Überforderung von Angehörigen wirkt sich auch sofort negativ auf das Verhalten der Patienten aus, sie sind sehr empfindsam. Ganzheitliche Betreuung ist sehr wichtig, zum Beispiel eine individuelle Beratung in einer Memoryklinik und die Angebote annehmen, die die Alzheimervereinigung anbietet. Da gibt es viel mehr als Medikamente: Gedächtnistraining, Mal- und Musiktherapie, Ferienangebote… Und man muss wissen: Auch ein Mensch mit Demenz kann Glücksmomente erleben.
Das hilft dem Gedächtnis
- Erlebnisse, die mit Freude, Interesse oder Zufriedenheit verbunden sind – sie werden besser gespeichert.
- Regelmässiger Schlaf und tagsüber Aktivität. Der Tiefschlaf nachts ist wichtig, deshalb tagsüber höchstens ein kleines Nickerchen machen.
- Regelmässige Bewegung
- Stress und Überforderung vermeiden.
- Routinetätigkeiten vereinfachen den Alltag.
- Depressionen behandeln lassen – sie schaden dem Gedächtnis.
Lesestoff
Mehr zum Thema Gedächtnisstörungen und Alzheimer finden Sie in der Broschüre «Das grosse Vergessen» von Dr. Irene Bopp-Kistler und Brigitte Rüegger-Frey. Sie können es mit einem frankierten, an Sie adressierten Antwortcouvert bestellen bei: MediService, Gedächnisbroschüre, Ausserfeldweg 1, 4528 Zuchwil.
Umfassendes Wissen über Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz vermittelt das Fachbuch «Demenz verstehen», an dem 40 Fachleute aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland mitgewirkt haben, viele von ihnen Praktiker, die täglich mit der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz beschäftigt sind. Es kostet 89 Franken + Versandkosten. Bestellung und Information auf www.sonnweid.ch