Morgen reicht auch noch
Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, sagt der Volksmund. Von wegen, behauptet der Wirtschafts-Kabarettist Malte Leyhausen. Er preist das Aufschieben – und das mit gutem Grund!
Für Malte Leyhausen ist Aufschieben ein Genussmittel. Sein Ratgeber ist eine Anleitung zu diesem Genuss – mit Tests, Verhandlungstricks aus der «Schweinehundschule» und einem Werkzeugkasten für Anschieber.
GlücksPost: Wollen Sie uns auf den Arm nehmen mit dem Befürworten des Aufschiebens?
Malte Leyhausen: Sie wissen doch, dass die Menschen am liebsten das Gegenteil von dem tun, was man ihnen rät. Deshalb macht meine Anleitung zum Aufschieben nicht nur Spass, sondern die Leser schieben, quasi als Trotzreaktion weniger auf.
Weshalb sind Sie Experte im Aufschieben geworden?
Ich habe schon als Student an mir beobachtet, dass ich statt einer dringenden Sache lieber eine weniger dringende Aufgabe erledige. Als gelernter Pädagoge beschäftigte ich mich deshalb intensiv mit den Mustern und Auswegen bei Aufschiebeverhalten.
Was soll denn der Nutzen sein?
Aufschieben bietet für den Moment eine grosse Erleichterung. Es ist ein bewährter Schutzmechanismus, der uns vor unangenehmen Gefühlen bewahrt, die wir zum Beispiel bei der Steuererklärung oder beim Kelleraufräumen verspüren. Ausserdem erledigen sich manche Dinge von selbst, wenn man sie nicht sofort anpackt. So mancher hat einen Chef, der es sich von heute auf morgen anders überlegt. Die Anweisung von heute ist morgen vielleicht schon Schall und Rauch.
Hat jeder Talent zum Aufschieben?
Ja! Nur, dass die einen ihr Talent zügeln müssen und die anderen ihr Talent zur Entschleunigung noch viel zu wenig nutzen. Für mich ist Aufschieben ein Genussmittel. Der Luxus, sich einen Anlauf zu gönnen, bevor man eine Sache beginnt. Und ich behaupte, für diese Art von Genuss hat jeder Talent.
Was ist eigentlich die Ursache der Aufschieberitis?
Da gibt es verschiedene Theorien. Es deutet vieles darauf hin, dass eine Minderheit unter den Aufschiebern aus Perfektionismus aufschiebt. Der Gedanke, etwas nicht perfekt zu machen, ist für diese Gruppe unerträglich. Deshalb schieben sie auf. Bei der Mehrheit scheint die allgemeine Angst vor Versagen eine zentrale Ursache zu sein. Eine entscheidende Rolle spielt auch, ob wir es mit dem Aufschiebeverhalten bisher immer noch gerade so geschafft haben. Denn dann wurden wir in diesem erlernten Verhalten erst recht bestärkt.
Was hat das Aufschieben mit Burn-out zu tun?
In meinem Buch stelle ich das Aufschieben dem Burn-out als Kontrast gegenüber. Beim Burn-out scheint nach einer langen Zeit der Überarbeitung eine seelische Sicherung durchzubrennen. Das Aufschieben kann man auch als unbewusste Vorsichtsmassnahme gegen Überarbeitung und letztlich Burn-out sehen.
Wer eine Sache liebt, der schiebt, sagen Sie. Wieso?
Oft sind es die Dinge, die uns besonders am Herzen liegen, bei denen das Anfangen schwerfällt. Schliesslich erwarten wir von uns einbesonders gutes Ergebnis. Dieser hohe Anspruch an uns selbst legt die Schwelle zu beginnen extrem hoch.
Wie können wir Aufschiebe- als Anschieberituale nutzen?
Wenn Sie einfach mal aufschreiben, was Sie alles tun, anstatt eine wichtige Aufgabe zu beginnen, werden Sie bei sich eine Menge Aufschiebe-Rituale entdecken. Der Blick in den E-Mail-Eingang, Blumen giessen, eine Freundin anrufen und so fort. Die Kunst ist es nun, sich eines dieser Aufschiebe-Rituale auszusuchen und es zum Anschiebe-Ritual zu machen. Zum Beispiel könnten Sie Ihre Arbeit ab heute mit dem Ritual beginnen, fünf Minuten den Mail-Eingang zu prüfen, um danach pünktlich mit Ihrem Projekt zu starten.
Buchtipp:
Malte Leyhausen: «Jetzt tu ich erstmal nichts – und dann warte ich ab», Kreuz Verlag, 19.90 Franken.