Ess-Mythen im Fakten-Check

Gutgemeinte Ratschläge zu gesunder Ernährung gibt es wie Sand am Meer. Fragt sich nur: Was ist wirklich erwiesen? Und was wohl eher Panikmache?

Sie zählt zu den umstrittensten Sachgebieten – die Lehre von der richtigen Ernährung. Was heute als gesund gilt, ist morgen schon umstritten. «Kein Wunder, dass viele Menschen am Ende gar nicht mehr wissen, was sie essen dürfen und was nicht», sagt Dr. Martijn Katan.

In seinem Standardwerk «Warum Brot uns nicht schadet und Mikrowellen keine Vita­mine zerstören» (Riva Verlag) hat der holländische Professor für Ernährung weitverbreitete ­Mythen wissenschaftlich auf ­ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Das sind die gängigsten:

 

1. Nicht das Fett macht dick, ­sondern die Kohlenhydrate

Als Übergewicht zur Volkskrankheit avancierte, machten sich Wissenschaftler auf die ­Suche nach den dafür ver­antwortlichen Stoffen. Vor 30 Jahren wurden Fette zum Sündenbock gestempelt, später die Kohlenhydrate, also Brot, Teigwaren, Reis oder Kartoffeln.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Ob mehr Eiweiss, weniger Kohlenhydrate oder weniger Fett: Es spielt keine Rolle, ­welche Diät man befolgt. Wer mit Ausdauer das gewählte ­Programm verfolgt, ­verliert in den ersten Monaten zwei bis zwölf Kilo.

▶  Menschen, die eine Diät ­machen, essen weniger. Das liegt daran, dass die Diät in der Regel weniger schmackhaft und weniger komfortabel ist.

▶  Abnehmen hat nichts damit zu tun, welche Inhaltsstoffe
in einer Diät enthalten sind. Auch Kalorien sagen wenig aus. Was zum Dickwerden anregt, sind bearbeitete Fix-und-fertig-Nahrungsmittel, die mit einer unwiderstehlichen Kombination von Geschmack, Aussehen, Gefühl im Mund, Preis, Haltbarkeit und Verpackung zum Überessen locken.»

 

2. Am gesündesten ist viel frisches Obst

Mindestens zwei Portionen Früchte am Tag, lautet die Empfehlung der Experten.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Die drei wichtigen Nähr­stoffe, von denen viele Menschen zu wenig zu sich nehmen, sind in keiner Obstsorte enthalten: Vitamin D, Vitamin B12 und Jod.

▶  Früchte enthalten viel Zucker. Eine Banane entspricht etwa vier Stück Würfelzucker, ein Apfel und eine Orange je drei Stück. Fruchtsaft ist eine flüssige Süssigkeit und enthält genauso viele Kalorien wie Softdrinks.

▶  Obst ist vor allem dann gesund, wenn es als Zwischenmahlzeit oder Nachtisch den kalorienreichen Schokoriegel ersetzt.»

 

3. Man sollte mindestens acht Gläser Wasser pro Tag trinken

Experten raten zu täglich mindestens zwei Litern Wasser.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Jeder Erwachsene verliert durchschnittlich einen halben Liter Flüssigkeit pro Tag über die Haut. Bei körperlicher Anstrengung oder bei Hitze wird das wesentlich mehr. Mit der Luft, die wir ausatmen, und mit dem Stuhlgang verlieren wir nochmals einen halben Liter Wasser am Tag. Hinzu kommt mindestens ein halber Liter Urin täglich.

▶  Insgesamt sind das also ­mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag, die wir ersetzen müssen. Mit unserer Nahrung ­nehmen wir täglich ungefähr 0,8 Liter auf. Bei der Verbrennung der Nahrung in unserem Körper 0,3 Liter Wasser. Damit wären wir also schon bei 1,1 Litern Wasser, was heisst, dass es eigentlich ausreichen würde, 0,4 Liter am Tag zu trinken.

▶  Wir brauchen aber mehr Flüssigkeit als 0,4 Liter, wenn wir uns körperlich anstrengen, wenn es heiss oder sehr kalt ist, wenn wir uns in der Höhe aufhalten oder Fieber haben. 1 bis 2 Liter reichen somit aus.»

 

4. Produkte mit E-Nummern sind ungesund

Befinden sich in einem Nahrungsmittel Zusatzstoffe mit ­E-Nummern, ist es bestimmt ungesund.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Eine E-Nummer bedeutet, dass eine oder mehrere Sub­stanzen zugeführt wurden, die von der EU geprüft wurden.

▶  Nicht jede E-Nummer bedeutet Gefahr. Der Naturfarbstoff Lycopin (E 160d) besteht aus Tomaten, Essigsäure (E 260) wirkt keimtötend, und Tocopherol (E 306) – auch bekannt als Vitamin E – stammt aus ölhaltigen Pflanzen.»

 

5. Wir sollten essen wie die Urmenschen

Die sogenannte Steinzeit-Ernährung (Paläo-Diät) geht davon aus, dass unsere Vorfahren Beeren, Nüsse, Pflanzen und Fleisch von wilden Tieren assen. Und dass unsere Gene nach wie vor so funktionieren und es deshalb ungesund sei, Getreide zu essen.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Wir werden wahrscheinlich nie genau wissen, wie sich unsere Vorfahren ernährt haben.

▶  Viel Fleisch kann das Risiko für Darmkrebs erhöhen.

▶  Unsere Gene haben sich im Verlauf der Evolution an das ­Essen von Brot und sonstigen Getreideprodukten mit vielen Kohlenhydraten angepasst.»

 

6. Gesunde Ernährung ist teuer

Als gesund gilt, möglichst viele Lebensmittel aus regionalem (Bio-)Anbau zu essen. Um sich diese leisten zu können, muss man tief ins Portemonnaie ­greifen.

Das sagt Prof. Katan:

▶  «Billiges Gemüse aus der Dose und Tiefkühlgemüse sind genauso gesund wie frisches. Einziger Abstrich bei Dosen-Gemüse ist der Gehalt an Vitamin C.

▶  Wasser aus dem Wasserhahn ist supergesund und kostet fast nichts.

▶  Statt teures Bio-Filet empfehle ich kostengünstige Innereien wie Leber oder Nieren. Das sind Schatzkammern an ­Vitaminen und Mineralien.»