Ihr Glück fa nd sie im Kloster

Seit 33 Jahren lebt die Äbtissin des Frauenklosters ­Sarnen bei den Benediktinerinnen. In dieser Zeit hat sich viel verändert – auch weil sie sich für den Wandel einsetzte. Und dieser schafft lange Zeit undenkbare Freiheiten.

Von Andrea Butorin

Kaum betritt Rut-Maria Buschor (54) den Klostergarten, kommt Kater Felix zu ihr und scharwenzelt um ihre Beine. Die übergewichtige schwarze Katze war der heimliche Star der SRF-­Sendung «Mona mittendrin», für die ­Moderatorin Mona Vetsch (49) drei Tage im Obwaldner Frauenkloster St. Andreas in Sarnen verbracht hat. Buschor lacht und streichelt Felix, der inzwischen auf dem Boden liegt und schnurrt, über den Bauch.  

Seit 33 Jahren lebt Rut-Maria Buschor als Ordensschwester in diesem Kloster. Im November 2019 wurde sie zu dessen ­Äb­tissin, also als Vorsteherin, gewählt. «Das Kloster hat mich gefunden wie die Katze ihren Lieblingsmenschen», sagt sie. 

Sie ist mit zwei Brüdern und einer Schwester in Goldach neben Rorschach SG aufgewachsen. In der Familie spielte die Religion kaum eine Rolle, dafür der Fussball: Der Vater war einst ein sehr guter Spieler. Doch damals gab es noch keine Fussballprofis, und so entschied er sich für die Familie und den Maurerberuf. Die Leidenschaft für den FC St. Gallen blieb und ging auf fast alle Familienmitglieder über. «Als Jugendliche war ich praktisch an jedem Heimspiel», sagt Rut-Maria Buschor. 

Sinnsuche nach Lehrabschluss

Nach der Schule absolvierte Rut-Maria Buschor die kaufmännische Lehre und zog danach nach Genf. «Da kamen die grossen Fragen auf: Wer bin ich? Welchen Sinn hat alles?» Sie tauchte ins freikirchliche Milieu ein, begann die Bibel zu lesen und merkte, dass ihr die katholische Kirche trotz einiger Kritikpunkte alles bieten konnte, wonach sie suchte. Sie stiess auf ein Inserat des Frauenklosters Sarnen, das zu einem Kennenlern-Wochenende einlud: Rut-Maria Buschor kam und blieb. 

Nun schreitet sie durch den Garten zur Klosterkirche. Felix hinterher, doch der Kater weiss: Hinein darf er nicht. Der moderne Bau hebt sich als Einziger von den jahrhundertealten Gemäuern ab. In den 60er-Jahren richtete ein Erdbeben enormen Schaden an, sodass die Kirche neu aufgebaut werden musste. Hier steht Rut-Maria Buschors stattliches Instrument: die Kirchenorgel, auf der sie täglich übt. «Eigentlich spielte ich gar kein Instrument, doch im Kloster haben sie mich einfach an die Orgel gesetzt», erzählt sie. Weil sie die Dinge gern richtig mache, studierte sie – bereits als Schwester – Kirchenmusik und Theologie.

Ebenfalls in der Kirche befindet sich ein weitum bekannter Anziehungspunkt: das Sarner Jesuskind. Die rund einen halben Meter grosse Holzstatue stammt aus dem 14. Jahrhundert und soll einst ein Wunder vollbracht haben. Dezent beleuchtet, aber streng gesichert steht sie in der Kirche. Täglich kommen Menschen vorbei, um das Jesuskind zu sehen und um zu beten. Jeden dritten Donnerstag findet zudem eine Wallfahrt statt. Buschor sagt: «Ich spüre, dass der Ort den Menschen guttut. Es ist eine Art spirituelle Tankstelle.»

Kloster öffnet sich immer mehr

Das Leben zwischen der selbstgewählten Abgeschiedenheit und dem Kontakt mit der Aussenwelt ist laut Buschor «ein ­Riesenspagat». 2005 habe ein schweres Hochwasser viel zur Öffnung beigetragen: «Wir waren auf Hilfe angewiesen und merkten: Es geht nichts von unserem ­Leben verloren, wenn wir uns ein wenig öffnen.» Die Pforte noch etwas weiter ­geöffnet hat Rut-Maria Buschor mit der Einführung eines Selbsterntegartens: Auf 1000 Quadratmetern des Klostergartens können Menschen mitarbeiten und Gemüse im Abo beziehen. Aus Rücksicht auf das Klosterleben bloss dreimal die Woche. 

Die Offenheit hat Grenzen: Obwohl Rut-Maria Buschor ein Smartphone sowie ein Tablet besitzt, IT-Probleme gern selber zu lösen versucht und auch schon mal mit Künstlicher Intelligenz experimentiert hat, möchte sie keine Videos oder Fotos via ­soziale Medien verbreiten. Sie sagt: «Das wäre mir zu viel.» 

Als Rut-Maria Buschor mit 21 Jahren entschied, künftig im Kloster zu ­leben, ging sie davon aus, ihr Daheim nie wiederzusehen. Denn ursprünglich lebten die Sarner Benediktinerinnen ausschliesslich hinter den Klostermauern. Nach und nach wurden die Regeln gelockert. Heute besucht Buschor ihre Mutter, die bald 90 Jahre alt wird, etwa zwei- bis dreimal pro Jahr. Ist es nicht schwer, die Familie bloss so selten zu sehen? «Ich denke, dass es für die anderen schwerer zu akzeptieren ist als für mich, da ich diesen Weg freiwillig gewählt habe», antwortet sie.

Ab und an liegt für die Äbtissin sogar ein Heimspiel «ihres» FC St. Gallen drin. Konzerte würde sie eigentlich auch gern besuchen. Ein Höhepunkt bildet deshalb das alljährliche Orgelkonzert im Kloster Engelberg. «Man geniesst es so viel mehr, als wenn man immer gehen kann», sagt Buschor. Aus ihrem alten Leben vermisst sie vor allem eins: Sich jederzeit kochen zu können, worauf sie Lust hat. Denn die Nonnen können zwar kulinarische Wünsche anbringen, aber um Diskussionen zu vermeiden, entscheiden grundsätzlich die Küchenchefs, was auf den Tisch kommt.  

Ein Osternestli für jede

Gerade an Ostern sei das Christentum für sie eine Religion der Freude. Denn der Weg von Jesus sei zwar ein schwerer und brutaler mit dem Tod am Kreuz. «Aber der Weg führt dann weiter zum Leben. Christus will, dass wir Freude haben», sagt sie ­weiter. Am Ostersonntag geniessen die Schwestern dann ein feines Zmittag, und jede erhält ein Osternestli. Weil die Kirchen­glocken vom Hohen Donnerstag bis zur Auferstehungsfeier an Ostern stumm bleiben, rufen die Nonnen mit grossen «Rätschen» zum Gebet. «Wir Schwestern lieben diesen Brauch», sagt Buschor ­lachend.  

Im ersten Stock des Klosters geht sie nun durch eine hölzerne Laube zu einem Raum, der ihr viel bedeutet: Zu den «strengen Zeiten» des Klosters diente er als ­Besuchszimmer. Nonnen und ihre Gäste durften sich durch ein Gitter mit einem kleinen Fensterchen austauschen. 

Mit ihren 54 Jahren ist Rut-Maria Buschor die zweitjüngste Nonne in Sarnen. Insgesamt leben da aktuell fünf Benediktinerinnen sowie zehn Ordensschwestern, die aus anderen Klöstern hergezogen sind. Als Äbtissin muss sie sich Gedanken ­machen, wie es mit dem Kloster dereinst weitergeht. Dazu sagt sie: «Ich habe ­gewisse Ideen im Hinterkopf, wie wir die Gebäude auch noch nutzen könnten.» Spruchreif sei noch nichts. «Unser Kloster ist ein wichtiger Wallfahrtsort, und ich ­finde es wichtig, dass der Charakter des Ortes gewahrt bleibt.»