Träumerin mit Hitpotenzial

Vom Gymnasium direkt auf die grosse Bühne: Die Sängerin hat früh einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Bodenhaftung ­findet die Überfliegerin daheim in St. Gallen. 

Von Aurelia Robles

Aus Joya Marleen (21) sprudeln die Worte in einer fröhlichen Tonalität heraus, dass es schwer vorstellbar ist, dass manche ihrer Lieder Titel wie «Nightmare» (dt. Albtraum) oder «end of the world» (das Ende der Welt) tragen. Doch wer sich die Songs anhört, erfährt musikalische Geschichten, die sich beim Schreiben im Kopf der Sängerin abgespielt haben – inspiriert von kleinsten Beobachtungen. «Was mir in meiner Musik ganz wichtig ist, oder was in allen meiner Songs mitschwingt, ist die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dem Magischen. Dort fühle ich mich so wohl.» Nun ist mit «the wind is picking up» nach zwei EPs das erste Album der St. Gallerin erschienen.

Joya Marleen driftete schon als Kind gerne gedanklich in andere Welten ab. «Es klingt merkwürdig, aber ich wusste anfangs nicht, dass man in der Schule zuhören muss und träumte einfach vor mich hin.» Das tut sie heute noch, ist in ihrem Umfeld als Träumerin bekannt. «Das empfinde ich als Kompliment. In einem Traum ist alles möglich, kann es richtig kitschig werden, das ist schön. Sobald man den Verstand einsetzt, setzt man sich Grenzen. Das ist schade.»

Erster Hit mit 17 Jahren

Joya Schedler, wie sie gebürtig heisst, wächst mit einem älteren Bruder in einer musikalischen Familie in der Stadt St. ­Gallen auf. Fiel irgendein Fest an, war klar, es wird etwas Musikalisches dargeboten. «Bei uns durfte man auch immer schräg mitsingen, deshalb hatte ich wohl auch nie Angst, auf eine Bühne zu stehen.» In familiären Kreisen übt sie so den musikalischen Auftritt, gründet mit zwei Pfadi-Freundinnen die Band «Cowgirls». «Wir brauchten noch jemanden, der Gitarre spielt, also lernte ich Gitarre.» Dazwischen stellte sie sich vor, wie sie eines Tages auf der grossen Bühne steht − zum Beispiel auf jener des Openair St. Gallen. «Als dieser Traum 2022 in Erfüllung ging, hatte ich nach dem Konzert Tränen in den Augen.» Dieses Jahr wird sie am Openair gar auf der Hauptbühne spielen. 

Bereits mit 17 Jahren feierte Joya Marleen − Marleen ist der Name ihrer Grossmutter − ihren ersten grossen Hit, schneller als erträumt. Ihr Lied «Nightmare» geht 2020 durch die Decke. Die damalige Gymnasiastin durchlebt die Realität wie im Film: An den Swiss Music Awards findet sie sich plötzlich inmitten all ihrer musikalischen Vorbilder wieder, räumt drei Auszeichnungen (Best Female Act, SRF 3 Best Talent, Best Hit) ab. «Ich konnte das alles gar nicht verarbeiten», erinnert sie sich. «Ich wusste nur, dass ich jetzt Gas geben muss, damit ich keine Eintagsfliege bleibe.» Doch dafür bleibt erst keine Zeit, denn nur zwei Tage nach dem Hattrick an der Preisverleihung finden ihre Gymi-Abschlussprüfungen statt. 

Ein «lärmiges» Elternhaus

Mit dem Abschluss in der Tasche widmet sich Joya Marleen seither der Musik. «Aus dem Hobby ist nun mein Job geworden, da spürte ich zuerst schon viel Druck. Umgekehrt kann ich jetzt beruflich träumen und Lieder schreiben.» 2024 hat sie neben diversen Konzerten auch eine kleine Deutschland-Tour absolviert. «Ich will ­Musikerin in der Schweiz sein, aber da ich Englisch singe, träume ich von den ganz grossen Bühnen der Welt, zum Beispiel wäre ein Auftritt am Glastonbury Festival natürlich toll.» 

Ganz in Gedanken lebt Joya Marleen ­jedoch nicht. Ihre langjährigen Band­kollegen  sowie die Familie, inklusive Hund Heidi, halten sie auf dem Boden und begleiten sie seit Beginn. Auch lebt sie weiterhin bei ihren Eltern. «Bei uns herrscht immer Lärm, also guter Lärm. Wenn Musik läuft, wird gefestet, man geniesst das Leben, ist im Moment», sagt sie. Obwohl der frühe Erfolg am Anfang überfordernd war, sagt sie ­ heute: «Ich bin dankbar, dass ich so früh in der Musikbranche starten durfte und ­finde es sehr schön, nun darin älter zu ­werden.»