Andrea Bocelli
«Ich will keinen Moment meines Lebens verpassen»
Er ist seit seinem zwölften Lebensjahr blind, wollte eigentlich Anwalt werden – und ist heute der bekannteste Tenor unserer Zeit. Der italienische Superstar spricht über seinen Erfolg, den Sinn des Lebens und erklärt das Geheimnis seines Ehelebens.
Von Dominik Hug
Seine Stimme ist sanft, seine Worte sind vorsichtig gewählt. Andrea Bocelli (67) ist ein sehr überlegter Mensch mit einem ausgeprägten Sinn für Schönheit. Die Familie ist ihm wichtig, auch der liebe Gott. Und die Musik, die er seit drei Jahrzehnten massgeblich prägt.
GlücksPost: Auf Ihrem neusten Album «Duets» singt ein ganzer Reigen an Superstars mit. Wie haben Sie die Leute alle zusammengebracht?
Andrea Bocelli: Ich bin bekanntlich schon seit längerer Zeit in der Musikbranche und lernte in all der Zeit viele faszinierende Künstler kennen. Mit einigen haben sich sogar Freundschaften entwickelt. Und da singt man gerne zusammen. Mir war bei diesen Kooperationen aber am wichtigsten, dass unsere Stimmen wunderbar miteinander harmonieren. Ich liebe Stimmen und Musik. Und ich will damit immer wieder Neues erschaffen.
Sie gehören längst zu den grössten Opernstars überhaupt. Hatten Sie je einen Plan B zur Musik?
Ich habe ursprünglich Jura studiert, wollte Anwalt werden. Dass ich meine Familie einmal mit der Musik würde ernähren können, war reine Zockerei mit nur sehr kleiner Gewinnchance. Trotzdem bin ich das Risiko eingegangen. Und wurde reich belohnt dafür.
Ihre ersten Auftritte hatten Sie in einer Pianobar. Heute füllen Sie Stadien. Müssen Sie sich manchmal nicht auch kneifen, wie weit Sie es gebracht haben?
Natürlich. Eine solche Karriere hätte ich mir nie träumen lassen. Umso dankbarer bin ich für dieses Leben. Aber auch dem Schöpfer, der mir dieses Leben geschenkt hat. Ich fühle mich überaus geehrt, verspüre zugleich eine grosse Verantwortung, die Menschen nicht zu enttäuschen.
In diesem Jahr feierten Sie bereits Ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum. Singen Sie noch immer gleich gerne wie früher?
Es hat sich viel verändert seit meinen Anfängen. Die Menschen kaufen nicht mehr so viele Alben wie früher, hören Musik heute lieber auf ihrem iPhone. Gleich geblieben ist aber ihre Begeisterung an den Konzerten. Und nicht verändert hat sich auch meine Leidenschaft fürs Singen. Für mich ist es immer noch überaus erfüllend, auf einer Bühne zu stehen und für die Menschen zu singen. Besonders angenehm ist es, dass ich meine Bühnenangst inzwischen ablegen konnte. Ich bin nicht mehr so nervös vor Auftritten wie in jungen Jahren. Auch ist meine Motivation heute anders.
Inwiefern?
In meinen Anfangsjahren wollte ich meine Stimme überallhin bringen, was nicht immer einfach war. Weil ich noch nicht so bekannt war. Heute darf ich überall auf der Welt singen. Und das ist wunderbar. Das Einzige, was bisweilen anstrengend ist, sind die
Reisen. Zumal ich unter Flugangst leide. Aber damit habe ich mich inzwischen arrangiert.
Sie sind 67 Jahre alt. Wie lange können Sie auf diesem hohen Niveau noch Konzerte geben?
Das weiss nur der Herrgott. Er hat mir diese Stimme gegeben. Er wird entscheiden, wie lange ich sie benutzen darf.
Wie hat sich Ihre Stimme in all der Zeit verändert?
Meine Gesangstechnik hat sich verbessert, deshalb fällt mir das Singen heute leichter. Meine Stimme ist stärker denn je. Ich hoffe, das bleibt noch ein bisschen so. Stimmbänder sind Muskeln, die trainiert werden müssen, wie das Athleten machen. Und das mache ich jeden Tag. Sehr wichtig ist auch, dass man glücklich ist. Wer glücklich ist, singt gerne.
Dann haben Sie jeden Tag gute Laune?
Ja, ich versuche es (lacht).
Demnächst kommt der Dok-Film «Because I Believe» über Ihr Leben heraus. Was dürfen die Fans erwarten?
Ich gebe Einblick in mein Leben zu Hause. Es wird also viel Privates gezeigt, nicht nur, wie ich auf der Bühne bin oder mich backstage auf die Konzerte vorbereite. Auch mein Bruder und meine Mutter kommen zu Wort. Ich spreche über meine Liebe zu meiner Familie, über gutes Essen und Wein. Ich bin auch zu Hause gerne kreativ. Ich spiele Schach, reite gerne. Keinen Moment meines Lebens will ich verpassen. Ich will auch möglichst viel Zeit mit der Familie verbringen. Denn die Familie ist das Kernstück unserer Gesellschaft.
Ihre Frau gehört zu Ihrem Management-Team. Was ist das Geheimnis einer glücklichen Ehe?
Da hat jedes Paar wohl eigene Geheimnisse. Bei uns ist es so, dass wir immer versuchen, die Flamme am lodern zu halten. Sei das mit Aufmerksamkeit, Respekt, Unterstützung, Vertrauen, Sinnlichkeit.
Was, glauben Sie, ist der Sinn des Lebens?
Das ist ein Geheimnis, welches wir erst lüften werden, wenn wir unseren letzten Atemzug machen. Bis dahin sollten wir das Leben als einzigartiges Geschenk annehmen und jede Minute voll auskosten. Mein Ratschlag an die jüngeren Menschen: Wissen ist das Tor zur Freiheit. Je mehr wir wissen und je mehr Erfahrungen wir machen, desto mehr Möglichkeiten haben wir. Viele Junge gehen ins Fitness und trainieren ihre Körper. Dasselbe müssen wir aber auch mit unserem Kopf, unserem Gehirn und unserem Geist machen, um uns voll entfalten zu können.