Hanna Scheuring und Daniel Rohr
«Wir sind beide Bewegungstiere»
Das Theaterpaar teilt nicht nur die Bühne, sondern auch seine Träume. Im aktuellen Stück «Dreamer» bringen die Schauspieler Phantasie und Realität zusammen, während sie über ihre eigenen Visionen für die Zukunft nachdenken.
Von Aurelia Robles
Träume – ob am Tag als Luftschlösser gebaut oder in der Nacht als Gedanken erlebt – begleiten das Theater-Ehepaar Hanna Scheuring (59) und Daniel Rohr (64) durch den Alltag. «Wir sind Personen, die uns am Morgen erzählen, was wir geträumt haben», sagt er. «Und wenn ich nicht schlafen kann, träume ich mich in Unterwasserwelten. Ich liebe das Meer wahnsinnig.» Seine Frau nickt: «Du bist der grössere Träumer als ich.»
Manche ihrer Träume werden im Leben der beiden Schauspieler (sie war Teil der Kultserie «Fascht e Familie», er spielte in Filmen wie «Grounding», «Vitus» und in diversen «Tatort»-Folgen) auch zur Realität auf der Bühne. So eine Erzählung mit Raumschiff von Ray Bradbury, die Daniel vor Jahren Hanna vorgelesen hatte und deren Umsetzung er sich zum 20-jährigen Jubiläum als Direktor des Theater Rigiblick geschenkt hat. «Dreamer» heisst nun das Theaterstück passenderweise, bei dem Scheuring Regie führt. «Die Geschichte geht einem total ans Herz. Sie hat etwas Versöhnliches mit der Welt. Etwas Hoffnungsvolles, das wir heute mehr denn je brauchen.» Im Stück geht es um einen Familienvater, der zu wenig Geld hat, um seinen Traum zu realisieren. Dann findet er dennoch eine Möglichkeit, ihn wahrzumachen – mit allem, was es dafür braucht. «Ich finde es schön, wenn man liebevoll kompromisslos ist», sagt Rohr.
Eingespieltes Paar
Vor 20 Jahren, als Daniel Rohr das Theater übernommen hat, sei er auch ein Träumer gewesen, erinnert sich der Vater zweier erwachsener Kinder. «Ich wurde zu Beginn nicht sehr ernst genommen, weil es ein kleines Quartiertheater war.» Mittlerweile hat sich das Team von 4 Mitarbeitern auf über 40 erhöht. Schauspielgrössen wie Bruno Ganz (1941 – 2019) haben ihn früh unterstützt und zum Erfolg mitgetragen. «Es geht mir um Lebensqualität, nicht um Ruhm», sagt Rohr. «Ich hatte die Vision eines Theaters, in dem es an keinem Abend langweilig ist, sondern die Leute bereichernd nach Hause gehen.» Ob die verschiedenen Hommagen an Künstlerinnen und Künstlern oder «Melody» nach dem Roman von Martin Suter (76) – in den Produktionen verschmelzen Schauspiel und Konzert zu einem Musiktheater.
Auch Hanna Scheuring hätte 2024 etwas zu feiern gehabt, leitet seit zehn Jahren das Zürcher Bernhard Theater. «Aber ich hatte keine Zeit und hätte es emotional auch nicht aufnehmen können.» Im Verlauf der Jahre hat sie auch ihren Traum von Eigenproduktionen erfüllt. Und obwohl beide ein eigenes Theater führen, sehen sie sich nicht als Konkurrenz, sondern unterstützen in verschiedensten Funktionen die Arbeit des anderen. «Es hilft uns, dass nicht immer die gleiche Person das Sagen hat. Wir müssen miteinander auf verschiedensten Positionen umgehen können», sagt Hanna Scheuring.
Viel Gehör füreinander
Ihre Ideen und Träume findet das Paar in der Bewegung. «Beim Joggen oder Wandern oder in unserem Garten. Wir sind beide Bewegungstiere und haben fast gleiche Vorlieben», sagt Daniel Rohr. Im Garten realisieren sie mit BirdLife ein Vogelprojekt, um den Singvogel Neuntöter wieder anzusiedeln, oder befreien den Abhang von Neophyten, sich schnell ausbreitenden, nicht heimischen Pflanzen. «Das Land, das wir zur Verfügung haben, möchten wir möglichst biologisch wertvoll gestalten», sagt er. Und da habe sich in den vergangenen fünf Jahren einiges getan. «Neue Insekten haben wieder andere Vögel angezogen. Abends hört es sich ganz anders an, es ist unglaublich», schwärmt Hanna Scheuring und gesteht, dass bei der Gartenarbeit ihr Mann exzessiver sei, sie sich eher mal ein «Päuseli» gönne.
Hanna Scheuring und Daniel Rohr, die 2023 geheiratet haben, teilen nicht nur die Träume miteinander, sondern auch kleinste Beobachtungen. «Zum Beispiel die Farben und das Glitzern des Meeres, das Hanna so liebt. Durch das Teilen wächst etwas, es wird mehr.» In den vergangenen Ferien haben sie sich zudem erstmals gegenseitig ihre Tagebücher vorgelesen. «Wir mögen es sehr differenziert unsere Gefühle ausdrücken, haben da eine sehr liebevolle Kultur», sagt er.
Zukunftsmusik
Ob im Garten, im Theater oder beim Tagebuchschreiben: «Das Gestalten kommt einfach aus uns heraus und verbindet uns», erklärt sie. Für sie ist im Gegensatz zu ihrem Mann jedoch klar, dass sie sich in fünfeinhalb Jahren regulär pensionieren lassen wird. «Ich würde gerne immer mal wieder spielen, auch mit 75 vielleicht. Aber das Leiten, die Verantwortung, dass dies dann langsam aufhört, darauf freue ich mich.» Sie hat denn auch noch viele Pläne, würde gerne Philosophie studieren, sich zur Yogalehrerin oder Sterbebegleiterin ausbilden lassen.
Ebenfalls noch fünfeinhalb Jahre dauert der Vertrag von Daniel Rohr, aber gedanklich ist er noch nicht ganz so weit wie seine Frau. «Ich bin mir aber sicher, dass dies bei Dani kein Problem wird», meint sie. «Er hat so viele Interessen und Leidenschaften.» Und eben auch Träume. Zum Beispiel irgendwann gemeinsam von Zürich aus bis nach Sizilien zu wandern, mehr lesen, das Holz der Neophyten zu «Burdeli» machen, «umechnuschte», vielleicht ein paar Hühner haben und den lang ersehnten Hund, «oder Freiwilligenarbeit leisten … ich glaube, meine Frau hat recht!», sprudelt es aus ihm heraus. Denn Träume kann man schliesslich immer wieder neue haben.