Die neue Waffe gegen Stress

Bogenschiessen ist, verstärkt unter Frauen, zum neuen Trendsport geworden. Der Umgang mit Pfeil und Bogen hat aber auch medizinischen Nutzen: Er trainiert Koordination und Konzentration; er schärft Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. 

Sachte zieht sie den Bogen hoch und erfasst mit ernstem Blick das Ziel. Unbeirrt von der Strähne, die der Wind aus ihrem Haar gelöst hat, spannt sie die Bogensehne, zieht den Pfeil auf Gesichtshöhe. Jetzt umspielt
ein Lächeln ihre Lippen – und sirrr!

In der Rolle der Guinevere blickt Schau­spielerin Keira Knightley im Film «King Arthur» ihrem Pfeil nach. Er wird sein Ziel nicht verfehlen. Es sind Abenteuerfilme wie dieser, die das Bogenschiessen als Freizeitbeschäftigung in den letzten Jahren beliebt gemacht haben. Besonders unter Frauen: Sie identifizieren sich mit Heldinnen wie Katniss Everdeen in «Die Tribute von Panem» oder Neytiri in «Avatar».

Doch Bogenschiessen ist weit mehr als nur eine mittelalterliche Waffentechnik oder ein Hobby im Freien. Es ist, wie Ärzte und Therapeutinnen bestätigen, eine wirksame Waffe gegen Rückenschmerzen und Stress. Bogenschiessen unterstützt die Atmung, korrigiert die Haltung, stärkt das Körpergefühl. Stressabbauend, konzentrationssteigernd. Es ist Meditation und Prävention – Ruhe finden, Kraft tanken, Motivation fördern. Körper und Geist im Einklang.

Im Internet betreibt Michael aus Blomberg (D) den Blog bogensportgeraete.de. Den gesundheitlichen Vorteilen des Bogenschiessens hat er euphorisch einen ausführlichen Textbeitrag gewidmet: «Die gesundheitlichen Vorteile des Bogenschiessens gehen weit über das Ziel hinaus. Wenn du die Bogensehne zurückziehst, werden deine Muskeln angespannt und die Arme, Schultern und deine Körpermitte werden gestärkt. Wenn du die Sehne loslässt, wird der Körper von einer Welle von Endorphinen durchflutet, die deine Stimmung heben und Stress abbauen.»

Die psychiatrische Klinik Sonnen­halde mit Standort in Basel und Riehen BS bietet gar ein therapeutisches Bogenschiessen an. Dabei gehe es nicht um sportliche Leistung, Perfektion und Erfolg, schreibt die Klinik zu ihrem Therapieangebot, sondern um Erfahrung, Selbstausdruck und persönliche Entwicklung. Die «Sonnenhalde» versteht Bogenschiessen «als Spiegel der Seele» und als Ressource für ein positives Selbstgefühl: «Das Erleben von Ruhe als konzentrierte Aufmerksamkeit, als Gelöstheit vom Alltag, von Problemen, kann einen befreienden Effekt haben.» Die Liste psychischer Benefits ist lang: Lockerheit entwickeln, Zielorientierung fördern, Selbstvertrauen stärken, Körpergefühl fördern, Ruhe finden.

Auch in der Privatklinik Wyss im bernischen Münchenbuchsee dient therapeutisches Bogenschiessen zur Entlastung und zur Bearbeitung emotionaler Prozesse sowie zur Stressbewältigung: «Bogenschiessen schafft Abstand vom Alltag und führt die Konzentration in diesem Moment auf das Wesentliche: die innere Mitte und das Loslassen.»

Das Unfallkrankenhaus in Berlin schliesslich führt therapeutisches Bogenschiessen in der Rehabilitation von Unfallopfern durch – querschnittgelähmte Patientinnen, Patienten mit Sehminderung und Patientinnen mit Schädel-Hirn-Trauma/Schlaganfall. «Die positiven Wirkungen auf den Körper sind vielfältig», sagt die Diplom-Sportlehrerin und Physiotherapeutin Diane Meier. «Beim Bogenschiessen verstärken sich die Atmung und der Stoffwechsel. Es kommt zu einer Verbesserung der Kraft und Ausdauerfähigkeit der Patienten.»

So wird der Sport denn auch als ergänzende Therapie in psychosomatischen Kliniken angeboten, zum Beispiel bei Burnout-Patienten oder bei Menschen mit Essstörungen. Auch Heranwachsende, die unter einer Aufmerksamkeits­defizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden, kommen mit Pfeil und Bogen zur Ruhe.