Sucht in der Familie
Wird jemand aus der Familie süchtig, ist es in erster Linie für die nächsten Angehörigen eine Herausforderung – ob Kinder, Partner oder Eltern. Gut zu wissen, dass es für sie hierzulande eine Anlaufstelle gibt.
Ob Alkohol, Drogen oder Medikamente: Sucht kommt häufiger vor, als man denkt – auch in den besten Familien. Sei es der Sohn, der kifft und lethargisch wird, sei es die Mutter, die heimlich trinkt und ihre Kinder vernachlässigt, sei es der Ehemann, der bei Online-Spielen das gemeinsame Geld verzockt. Laut dem Bundesamt für Gesundheit ist Sucht eine Krankheit. Süchtige Personen haben ein zwanghaftes Verlangen nach einer Substanz oder einem Verhalten, auch wenn sie dabei ihre Gesundheit aufs Spiel setzen und mit sozialen Folgen rechnen müssen. Damit schaden sie aber nicht nur sich selbst, sondern ebenso ihrem Umfeld. Leidtragende sind vor allem die nächsten Angehörigen. Und die brauchen Unterstützung.
Was Angehörigen hilft, weiss Letizia Maurer, psychosoziale Beraterin HF und Vorstandsmitglied bei der Anlaufstelle «Angehörige Sucht» in Zürich (siehe Box).
GlücksPost: Sie engagieren sich für die Angehörigen von Suchtkranken. Gibt es dafür einen Grund?
Letizia Maurer: Ja, mehrere. Einerseits mein Bruder, der seit 36 Jahren heroinabhängig ist und nach der Schliessung des Letten (Anm. der Red.: offenes Drogenareal in Zürich von 1993 bis 1995) in das Methadonprogramm aufgenommen wurde. Ich habe hautnah miterlebt, wie sich dies als Familienangehörige anfühlt. Andererseits war ich selbst von 18 bis 23 Jahren schwerst heroinabhängig. Nach einer Langzeittherapie bin ich nun seit 27 Jahren gesund. Das hat mich bewogen, eine Ausbildung zu machen, um Angehörige zu unterstützen, weil es da wirklich Bedarf gibt.
Worunter leiden Angehörige besonders?
Unter der Stigmatisierung durch die Gesellschaft. Im Gegensatz zu Krankheiten wie Diabetes, Depression oder Krebs, wird bei Sucht gerne eine eigene Schuld impliziert. Ich werde in der Beratung oft damit konfrontiert, dass man die Ursache bei der Familie sucht – nach dem Motto: «Du hast dein Kind nicht richtig erzogen». Dies kann ein Grund sein, entspricht aber selten der Realität. Nach wie vor wird erforscht, wieso manche Personen suchtanfälliger sind als andere. Man geht aktuell davon aus, dass Betroffene damit versuchen, ihre Gefühlswelt zu regulieren – im Sinne einer «Selbstmedikation». Nicht selten handelt es sich dabei um sehr feinfühlige Menschen, die dazu neigen, sich viel zu viele Gedanken zu machen.
Es kann also jede und jeden treffen?
Fest steht: Ob Drogen, Schmerzmedikamente, Alkohol usw. – der Handel damit ist ein Milliardengeschäft. Die süchtig machenden Substanzen sind weltweit übermässig vorhanden und «suchen nach Absatz», egal bei wem. Gerät nun eine Jugendliche, ein Jugendlicher in einen falschen Freundeskreis, kann das bereits reichen.
Sucht betrifft aber nicht nur Jugendliche …
Stimmt. Ein unterschätztes Phänomen sind Pensionierte. Sie haben vielleicht schon immer gerne ein paar Gläschen getrunken. Im Ruhestand trinken sie nun exzessiv, weil sie nicht mehr arbeiten müssen. Ich berate immer wieder «erwachsene Kinder», weil sich beispielsweise deren 70-jähriger, alleinstehender Vater jeden Abend ins Delirium trinkt. Und dabei möglicherweise noch ins Auto steigt. Oder deren Mutter zunehmend stark süchtig machende Benzodiazepine schluckt, um schlafen zu können, seit ihr Mann gestorben ist. Klar, machen sich die Angehörigen enorm Sorgen und fühlen sich ohnmächtig.
Welche Hilfe dürfen Angehörige von Ihrer Anlaufstelle erwarten?
Man kann uns gerne anrufen oder bei uns eine Beratung in Zürich buchen. Wir bieten ein Ohr für alle Angehörigen, die nicht weiterwissen. Meine Eltern beispielsweise verstanden die Welt nicht mehr, als mein Bruder und ich heroinsüchtig wurden. Und hätten sich damals Unterstützung gewünscht. Genau das bietet nun unsere Anlaufstelle ada-zh. Im Gegensatz zur KESB sind wir keine handelnde Institution. Was Sie uns anvertrauen, untersteht der Schweigepflicht und führt keinesfalls zu Eingriffen ins Privatleben Ihrer Angehörigen.