Oceana Galmarini
«Es gab auch schwierige Zeiten»
Werden Menschen mit Behinderung genug unterstützt? Darum dreht sich ein Spezialeinsatz der «Schweiz aktuell»-Moderatorin. Das Thema ist ihr auch wegen ihrer gehörlosen Eltern sehr nah.
Im Moment geht’s noch», sagt Oceana Galmarini (29) und lacht. Die Aufregung steige dann sicher vor der Sendung etwas an. «Aber ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung!»
Gemeint ist ein «Arena»-Spezial, das die «Schweiz aktuell»-Moderatorin am 24. März (22.25 Uhr, SRF 1) zusammen mit Sandro Brotz (53) präsentiert. Anlass der Live-Sendung ist die erste Behindertensession im Bundeshaus, in der 44 Menschen mit Beeinträchtigungen über ihre Forderungen an Politik und Gesellschaft debattierten.
GlücksPost: Frau Galmarini, was erwartet das TV-Publikum in der Spezial-«Arena» genau?
Oceana Galmarini: Die Arena dauert 100 statt 75 Minuten. Im Studio debattieren Menschen, die in ihrem Alltag beeinträchtigt sind, mit Politikern der Bundesratsparteien, u. a. mit Nationalratspräsident Martin Candinas. Zudem können sich Zuschauerinnen und Zuschauer beispielsweise via Chat mit Fragen rund ums Thema Behinderung bei uns melden, die von Expertinnen und Experten beantwortet werden. Auch nehmen wir Inputs und Rückmeldungen aus dem Publikum entgegen.
Und was genau ist Ihre Aufgabe?
Ich bin der Sidekick, werde in einer Lounge im SRF-Gebäude zusammen mit Redaktorinnen und Redaktoren die Inputs vom Publikum entgegennehmen. Wenn ein spezielles Thema viele Leute beschäftigt, befrage ich zum Beispiel eine Expertin dazu. Oder gebe den Input an Sandro weiter.
Ihre Eltern sind beide gehörlos. War das mit ein Grund, warum man Sie für die Sendung gewählt hat?
Wahrscheinlich. Ich bin sensibilisiert für dieses Thema. Aber ich kenne mich nicht mit allen Behinderungen aus, habe genauso Unsicherheiten wie andere. Etwa mit sehbehinderten Menschen, weil ich oft nicht weiss, ob man helfen soll oder nicht. Ich habe mir angewöhnt zu fragen, und wenn ein Nein kommt, ist es auch okay.
Warum denken Sie, dass Menschen mit Beeinträchtigungen gerade jetzt mehr politische Aufmerksamkeit bekommen?
Ich glaube, das hat viel mit dem aktuellen Zeitgeist zu tun. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Individualismus mega wichtig ist. Jeder soll so sein, wie er will. Dank Social Media oder Podcasts können auch Menschen mit einer Beeinträchtigung zeigen, wer sie sind, und auf ihre Anliegen aufmerksam machen.
Wie beurteilen Sie die Behindertenfreundlichkeit in der Schweiz?
Ich kenne nur die Gehörlosenwelt und ihre Bedürfnisse gut. Und dort sehe ich noch keine Gleichstellung. Warum machen Gehörlose kaum Matur, keinen Bachelor- oder Masterabschluss an der Uni? Die Gehörlosigkeit ist eine Behinderung, die rein physisch ist. Da muss man sich fragen, warum wir noch nicht so weit sind, dass der Zugang zu Bildung allen freisteht.
Sie beherrschen die Gebärdensprache – sollte das in der Schule ein Pflichtfach sein?
Schwierige Frage. Ich finde: Wenn man im privaten und beruflichen Umfeld jemanden hat, der gehörlos ist, dann lohnt es sich, die Basics zu lernen. Gehörlose feiern es total, wenn Hörende sich mit ihnen unterhalten können.
Wie war es für Sie und Ihre Brüder Arno und Nevin, mit gehörlosen Eltern im Dorf Ardez aufzuwachsen?
Die Leute haben unsere Familie cool gefunden. Aber es gab auch spezielle Situationen. Zum Beispiel, als Teenies über mich und meine Mama gewitzelt haben, weil sie dachten, dass ich auch gehörlos sei. Ich fand das immer lustig und habe am Anfang so getan, als merke ich nichts. Irgendwann antworte ich plötzlich, und sie waren verdutzt (lacht). Aber es gab auch schwierigere Zeiten …
Welche?
Wenn man ein Teenie ist, möchte man normal sein, wie alle anderen, und nicht auffallen. Und das sind wir halt häufig. Das war mir manchmal unangenehm. Aber nur, weil ich damals noch nicht reif genug war zu verstehen, wie cool das eigentlich ist.
Ihre Brüder sind sehr sportlich, Nevin ist Snowboard-Olympiasieger, Arno hat ein Fitnessstudio, beide biken u.a. gerne. Haben Sie keine Angst um sie?
Nein. Weil erstens vertraue ich meinen Brüdern und zweitens will ich grundsätzlich nicht mit solchen Ängsten durchs Leben gehen. Ich habe grosses Verständnis für jemanden, der Extremsportarten betreibt, denn ich kann nachvollziehen, dass das für diese Menschen ein Teil ihrer Identität ist, sie antreibt und glücklich macht im Leben. Sie wissen selber, dass dabei auch Gefahren
bestehen.
Gilt das auch für Sie? Immerhin klettern Sie selbst gerne.
Ja. Und jetzt muss ich ganz fest Holz anfassen, aber mir ist noch nie etwas passiert! Es ist eigentlich fast schon ein Wunder. Vielleicht solltet ihr das lieber nicht drucken, sonst breche ich mir noch das Bein (lacht).
Nevin hat die Zwillinge Eddie und Louie (4) und Arno Söhnchen Vito (1). Wurden die sportlichen Gene an Ihre Neffen weitergegeben?
Ja, alle haben die Galmarini-Gene, sind sehr ambitioniert (lacht). Vito ist noch mega klein. Aber die Twins sind jetzt schon voll am Skifahren und Biken wie die Wilden. Auch sind sie mit mir schon klettern gekommen und wollten nicht mehr aufhören. Das ist schön zu sehen.
Sind Sie also eine lockere Tante?
Ach, ich kann auch streng sein. Schliesslich bin ich ja auch eine Bezugsperson von ihnen, und wenn sie etwas machen, was nicht gut ist, sage ich es ihnen direkt. Ich finde es wichtig, dass sie wissen, dass es unterschiedliche Werte und Regeln gibt.
Beim letzten Mal meinten Sie, dass Sie Ihre Brüder zu wenig sehen …
Genau. Die wohnen einfach so doof! (Lacht.) Nevin in Solothurn, Arno in Scuol. Und ich pendle ja zwischen Zürich und Chur. Aber ich sehe sie so oft wie möglich, manchmal telefonieren wir per Videocall. Trotzdem vermisse ich sie alle nach wie vor sehr. Vor allem die Zwillinge kommen jetzt in ein Alter, wo sie immer mehr machen können. Irgendwann können die beiden mich ja dann vielleicht mal ein Wochenende besuchen kommen – das wäre cool!