Joel Wicki
Der Kleinste ist am Ende der Grösste!
Sein unermüdlicher Einsatz wird endlich honoriert! Der stille Arbeiter aus dem Entlebuch sorgte am ESAF für gehörig Spannung im Kampf um die Schwingerkrone 2022. Ein Sieg, den er seinem engsten Umfeld verdankt.
Es gab einige Schwinger, die es verdient hätten, an diesem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Pratteln BL zum König gekrönt zu werden – Männer, die seit Jahren konstant Bestleistungen zeigten. Mit Joel Wicki hat sich einer von ihnen den verdienten Preis für sein unermüdliches Schaffen geholt! Beinahe gelang ihm dies bereits 2019 in Zug, wo er Erstgekrönter wurde – da er die gleiche Punktzahl hatte wie König Christian Stucki (37), dem er im Schlussgang unterlag.
Was hat der 25-Jährige gekämpft an diesen zwei Tagen! Er, der rund 20 Zentimeter kleiner ist als die meisten seiner Gegner. Starke Widersacher forderten ihn am Samstag und am Sonntag. «Ich hatte strenge Gänge», sagt Wicki. Im Schlussgang habe er nur noch mit dem Kopf geschwungen. Der Körper sei «tot» gewesen, also die Batterien leer. «Ich musste mich fast übergeben. Doch der Kopf sagte mir: So kann ich hier nicht verlieren.»
Ausschalten konnte er den Kopf in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Er habe gut geschlafen, gibt er preis. In einem Interview sagte er: «Gemäss meiner Freundin dauert es am Abend nach dem Ins-Bett-Gehen oft nur eine Minute, bis ich tief schlafe. Und es kommt auch vor, dass ich an einem Wettkampf zwischen zwei Gängen ein Nickerchen mache.»
12 Minuten 45 Sekunden dauerte es unter gleissender Sonne, bis er seinen Schlussgang-Gegner Matthias Aeschbacher (30) endlich auf den Rücken legen konnte. Bis dahin hielt die Arena den Atem an: Mehrfach landete Wicki im Sägemehl, Aeschbacher über ihm. Jedes Mal konnte sich Wicki befreien. Das Publikum tobte, feuerte ihn an mit «Joel»-Rufen, die ihn offenbar erreichten: «Es war extrem, wie die jubelten für mich», sagt er später zu SRF. Ohne die Unterstützung von den Rängen hätte er es nicht geschafft, meint er. Und dann gelang ihm der entscheidende Wurf. Endlich! Nach 36 Jahren wird wieder ein Innerschweizer gekrönt – erst der Zweite überhaupt.
Der neue König ist ein eher zurückhaltender, bodenständiger Naturbursche. Ganz passend dazu auch der Verlauf des ESAF: Im Schatten von Pirmin Reichmuth (27) arbeitete sich der Sörenberger unermüdlich vor. Sein Verbandskollege aus Zug zeigte nach einer kurz zurückliegenden Verletzung die Form seines Lebens und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Mehr als einmal vergassen die Platz-Kommentatoren, darauf hinzuweisen, dass und in welchem Sägemehlring Wicki gerade am Schwingen war.
Seine Hobbys sind Fischen, Jagen und Bauern. Im Interview nach dem Schlussgang erzählt er, dass er bereits am Tag nach dem Triumph wieder im Stall stehen will: «Das ist mir sehr wichtig. Es hat einen hohen Stellenwert in meinem Leben. Mit den Tieren und mit der Familie etwas zu erschaffen, bedeutet mir sehr viel.»
Der gelernte Baumaschinenmechaniker führt zusammen mit einem Kollegen ein Baggerunternehmen. «Ich will aber in naher Zukunft zusammen mit meiner Freundin einen Bauernbetrieb übernehmen, auf dem ich bereits jetzt aushelfe.» Siegermuni Magnus dürfte er demnach wohl mit nach Hause nehmen, anstatt den Lebendpreis in Geld umzumünzen, wie viele andere Schwinger, die keinen Hof haben.
Sein engstes Umfeld ist dem neuen König sehr wichtig. Er bedankte sich noch auf dem Platz unter dem immer noch anhaltendem Jubel bei seinen Eltern und seiner Freundin: «Sie bedeuten mir unglaublich viel. Alles, was sie für mich tun – dafür möchte ich ihnen herzlich danken, das ist nicht selbstverständlich. Meine Eltern förderten mich, seit ich klein bin, meine Freundin hat in der letzten Zeit auf viel verzichtet.» Die engen Familienbande zeigen sich auch auf der Tribüne, wo Wickis Eltern Herbert und Esthi sitzen – und oft auch stehen. Die Mutter, die sich früher um die Öffentlichkeitsarbeit ihres Sohnes kümmerte, kann kaum hinsehen beim Schlussgang, springt immer wieder auf, hält die Hände vors Gesicht. Bis endlich die Erlösung kommt.