«Ich hoffe, Sie hören für den Rest Ihres Lebens die Schreie»
Der Raser hat drei Menschen auf dem Gewissen und muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Ein relativ mildes Urteil!
Von Celal Cakar
Der Staatsanwalt kämpft mit den Tränen, die Richterin auch. So unbeschreiblich ist die Tragödie, die Raser Daniel M. (29) in der Pfalz (D) angerichtet hat. Ein Unfall, bei dem Steffen K. (35) seine Ehefrau und sein Söhnchen verlor. Ein Unfall mit einem 381-PS-Jaguar und einem Angeber am Steuer.
Es ist der 19. September 2020: Daniel M. ist auf der Landstrasse zwischen Weisenheim am Berg und Kirchheim mit seinem Jaguar XF (381 PS) unterwegs. Neben ihm im 56 000 Euro teuren Auto sitzt ein Freund. Beide haben zuvor ein Weingut besucht, M. habe aber nur Wasser getrunken.
Daniel M. beschleunigt seinen Wagen im Sportmodus auf mindestens 140 Kilometer pro Stunde − laut Gutachtern vielleicht sogar auf 150 km/h. Erlaubt ist auf der Strecke nur Tempo 100. Die Staatsanwaltschaft klagt u. a. an, dass M. ein Rennen gegen sich selbst fuhr, um die Grenzen seines Wagens auszureizen. Der Anlagenbauer, der bei BASF arbeitet, widerspricht im Prozess: Er sei
eigentlich ein «entspannter, zuvorkommender» Fahrer.
Um 18.18 Uhr rast Daniel M. mit Tempo 125 in eine nicht einsehbare Rechtskurve. Laut Anklage ist es «fahrphysikalisch» nicht vermeidbar, dass er auf die Gegenfahrbahn abdriftet. M. verliert darauf die Kontrolle über den Jaguar und kracht fast ungebremst frontal in einen entgegenkommenden Mitsubishi-Kleinwagen.
Während Daniel M. und sein Beifahrer nahezu unverletzt bleiben, sind im Mitsubishi drei Leben sofort ausgelöscht: Fahrerin Sarah M. († 31), ihr Söhnchen Finn († 15 Monate) und Beifahrerin Nadine B. († 27) haben keine Chance. Ein Gutachter rekonstruiert die Fahrten der Unfallparteien am Computer, die Szenen werden vor Gericht abgespielt. Zeugen sagen: «Er hat sie abgeräumt wie auf einer Kegelbahn.» Wie durch ein Wunder kommt Baby Nora Luna (damals vier Wochen alt), das zweite Kind von Sarah M., lebend aus dem Wrack. Sie ist das, was Steffen K. vom einstigen Glück bleibt.
Im Prozess trägt Steffen K. immer wieder bewusst ein besonderes T-Shirt: Darauf ist ein Foto gedruckt, das die kleine Nora am Grab ihrer Mutter zeigt. Zu Prozessbeginn am Landgericht Frankenthal (D) entschuldigt sich Daniel M. und gesteht. Immer wieder kommt es im Prozess zu Emotionen − so kämpft der Staatsanwalt beim Plädoyer mit den Tränen.
Am Ende wird M. zu dreieinhalb Jahren Haft u. a. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Staatsanwalt hatte viereinhalb Jahre gefordert. Vom Vorwurf, ein illegales Rennen gegen sich selbst gefahren zu sein, wird M. entlastet: Er hätte den Jaguar in einer anderen Fahrwerkseinstellung («Dynamik») noch schneller fahren können.
Kurz vor dem Urteil ergreift Nebenkläger Steffen K. erstmals vor Gericht das Wort, spricht den Raser direkt an: «Ich hoffe, Sie hören für den Rest Ihres Lebens die Schreie.» Auch die vorsitzende Richterin Mirtha Hütt hat bei der Urteilsbegründung Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, als sie sagt: «Einem kleinen Jungen wurde die Chance genommen, die Welt zu entdecken. Ein kleines Mädchen wird nie Mutter und Bruder kennenlernen.» Und: «Es war kein Augenblick-Versagen, keine Unachtsamkeit. Das war Wahnsinn. Es ist an Tragik kaum zu überbieten.»