«Ich wollte so gerne eine normale Tochter sein»
Es ist ein langer, schmerzvoller Weg, bis Julia als Julian endlich glücklich sein kann. Als Mann fühlt er sich nun wohl.
Von Doreen Beilke
Auf dem Papier ist es nur ein Buchstabe. In der Realität aber ist es viel mehr. Es ist eine Entscheidung fürs Leben, ein Weg zwischen Hoffnung, Freude und Zweifel. Und es braucht Zeit, damit aus Julia ein Julian wird. Eine Zeit mit Operationen und vielen Stunden im Krankenhaus.
Der aus Zwickau stammende Deutsche ist Tischler, trägt Bart, hängt gerne mit Kumpels ab und träumt von einem «stinknormalen Leben». Der 35-Jährige sagt mit tiefer Stimme zur «Bild am Sonntag» voller Hoffnung: «In fünf Jahren hätte ich gerne eine Frau, die ich liebe, Kinder, einen Hund und ein Einfamilienhaus.»
Gerade bekommt er an der Leipziger Uniklinik einen Penis − seine Scheide wird umgebaut. Julian ist der 90. transsexuelle Patient von Professor Stefan Langer (52) und seinem Team seit 2019. Eine enorme Anzahl, bedenkt man die Lockdowns und runtergefahrenen Kliniken sowie den Aufwand der Eingriffe. «Menschen aus ganz Deutschland kommen zu uns», so Prof. Langer. «Die Nachfrage steigt stark an. Das Durchschnittsalter ist 42 Jahre. Grundsätzlich ist der Aufwand, aus einer Frau einen Mann zu machen, grösser als umgekehrt. Die transsexuellen Patienten bereichern das Miteinander im Team, weil sie so dankbar und glücklich sind.»
Wenn Julian in seiner Jogginghose vor der Klinik steht, würde niemand denken, dass er nicht schon immer ein Mann war. Auf den zweiten Blick erkennt man die kleinen Füsse − er trägt Schuhgrösse 39. Und man erkennt die filigranen Hände. Zehn Jahre Hormonbehandlung hat der Handwerker hinter sich: Gutachten, Genehmigungen, die Änderung des Passes und einen langen, schmerzvollen Weg der Unsicherheit.
«Ich war einfach nie ein richtiges Mädchen», erinnert sich Julian. «Als ich klein war, nannte mich mein Papa aus Spass Julius. Ich sträubte mich, Kleider zu tragen. Wenn ich mit Mädchen spielte, war ich immer ihr Aufpasser.» Es sei ganz klar gewesen, dass etwas nicht stimmt. «Doch bis ich es wirklich verstand und es mir selbst eingestand, wollte ich so gerne für meine Familie eine ganz normale Tochter sein. In der Pubertät habe ich deshalb Gas gegeben, trug lange Haare, schminkte mich, hatte sexuelle Erfahrungen mit Jungs. Es ging immer gleich aus: Nach drei Monaten flog alles auf.»
Julian lernte Textilmaschinenführer, wurde aber immer unglücklicher. Er nahm Drogen und hatte wiederholt Ärger mit der Polizei. Bis er die Entscheidung traf, nicht weiter als Frau zu leben. Es war der Beginn der Umwandlung. Julian: «2017 liess ich meine Brust entfernen, die Eierstöcke und die Gebärmutter. Ich änderte mein Leben, machte eine Tischlerlehre und bewarb mich schon als Mann. Die Kollegen kannten meine Geschichte nicht. Für meine Eltern war das in Ordnung. Sie wollten nur, dass es mir gut geht.»
Früher konnte sich der transsexuelle Handwerker nicht im Spiegel ansehen. «Inzwischen kann ich mir selbst in die Augen gucken. Ungewohnt, aber gut.» In einem Jahr wird die Geschlechtsangleichung abgeschlossen sein. Dann hat Julian einen funktionierenden Penis, kann im Stehen pinkeln und Sex mit einer Frau haben. Nur die Kinder, die er sich wünscht, kann Julian nicht selbst zeugen.