Ist das nun rot oder grün?
Wer Farben nicht gut unterscheiden kann, wird umgangssprachlich oft als farbenblind bezeichnet. Der Ausdruck stimmt so nicht ganz, meist handelt es sich nur um eine Farbsehschwäche.
Nicht jeder Mensch nimmt Farben gleich intensiv wahr. Dass wir sie überhaupt erkennen und unterscheiden können, ermöglichen die verschiedenen Sinneszellen, die als Stäbchen und Zapfen auf der Netzhaut des Auges sitzen. Während die Stäbchen uns Hell und Dunkel unterscheiden lassen, helfen die Zapfen, Farben zu erkennen. Letztere unterscheiden sich in drei Typen, welche auf die unterschiedlichen Wellenlängen des Lichts reagieren. Das Licht regt sie an und wandelt den Reiz in elektrische Impulse um. Diese wiederum gelangen ins Hirn und melden uns die Farbe. Trifft langwelliges Licht auf die Zapfen, sehen wir Rot, bei mittelwelligem Grün und bei kurzwelligem Blau. Alle anderen Farben ergeben sich aus der Mischung – im Idealfall.
Farbsehschwäche
Anna Lötscher, diplomierte Orthoptistin HF, arbeitet bei den Augenärzten Zürich der Gutblick AG – sie kennt den Grund, warum das Farbsehen nicht bei jedem Menschen einfach so funktioniert: «Wenn einer oder mehrere der drei Zapfen-Typen in veränderter Form vorliegen, führt dies zu einer Schwäche. Betroffene können gewisse Farben weniger gut unterscheiden. Von einer Farbenblindheit jedoch sprechen wir medizinisch erst, wenn Farben gar nicht voneinander unterschieden werden können. Der gebräuchliche Ausdruck farbenblind ist deshalb in den meisten Fällen nicht korrekt.»
Die Farbsehschwäche ist oft auf eine genetische Veranlagung zurückzuführen, betroffen sind rund 9 Prozent der Männer und weniger als 1 Prozent der Frauen. Erworbene Farbsehschwächen sind seltener, können aber durch gewisse Augenerkrankungen wie den Grauen Star hervorgerufen werden. Wichtig zu wissen: «Wenn jemand plötzlich eine Veränderung in der Farbwahrnehmung bemerkt, empfiehlt sich unbedingt eine Abklärung beim Augenarzt», rät die Orthoptistin. «Denn ist bei plötzlichem Auftreten der Schwäche ein Medikament, toxische Einflüsse oder eine Erkrankung der Grund, kann dies wie auch die Einschränkung des Farbsehens – wie beispielsweise beim Grauen Star durch eine Kunstlinse – behandelt werden.» Angeborene Farbsehstörungen hingegen sind harmlos und keine Krankheit. Bei Kindern bemerken Eltern das Problem häufig nicht selbst, weiss Anna Lötscher: «Manche berichten in der Sprechstunde jedoch, dass das Kind bei einer Zeichnung beispielsweise das Gras braun oder den Baumstamm grün färbt. Teilweise wird erst eine Lehrperson darauf aufmerksam.»
Kaum Einschränkungen
Für die Diagnose einer Farbsehschwäche führen Augenärztinnen und Orthoptisten in der Regel einen Test mittels Farbtafeln durch. «Die Tafeln des Ishihara- oder HRR-Tests bestehen aus Kreisen», erklärt die Fachfrau. «Manche sind farbig, andere gräulich eingefärbt. Die farbigen Kreise ergeben gesamthaft eine Zahl oder Form, welche der Patient erkennen muss. Für Menschen mit Farbsehstörung sind diese nicht sichtbar.»
Eine angeborene Farbsehschwäche ist zwar nicht behandelbar, Betroffene brauchen aber weder eine Therapie noch ist mit grossen Einschränkungen im Alltag zu rechnen, beruhigt Anna Lötscher: «Selbst mit der häufig auftretenden Rot-Grün-Schwäche kann der Führerschein erlangt werden. Abgesehen von Berufen wie Pilot oder Lokomotivführerin, die nicht ausgeübt werden dürfen, gibt es beruflich kaum Einschränkungen. Ausserdem können spezielle Brillen und Kontaktlinsen, welche einen Teil des Lichtspektrums herausfiltern und den Kontrast erhöhen, mithelfen, die Farben einfacher zu unterscheiden.» Einem bunten Leben steht also auch mit einer Farbsehschwäche nichts im Weg.