«Ich fragte mich nach dem Sinn des Lebens»
Seine Frau kämpfte jahrelang gegen Krebs – und starb. Philippe Ackermann aus Weggis erlitt einen Zusammenbruch. Heute ist er wieder glücklich.
Aufstehen, wenn es weh tut. Weitermachen, wenn man keine Kraft mehr hat. Hoffnung sehen, wenn alles weggebrochen ist.» Diese Sätze schrieb er in den dunkelsten Stunden seines Lebens. «Das war ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Frau», sagt Philippe Ackermann (46) leise, «Wanda starb am 9. November 2012 an Brustkrebs. Sie war erst 36 Jahre alt.» Er lernte sie Ende 2001 in einer Kletterhalle in Luzern kennen. Nach drei Monaten zogen sie zusammen.
Doch 2005 erkrankte Wanda an Krebs. Nach einer Operation und Bestrahlungen galt sie als geheilt. Doch bereits nach einem Jahr kam der Krebs zurück, langwierige Therapien folgten. Und er schien auch einen lang gehegten Wunsch zu zerstören: 2008 wollten sie auf dem 4300 Kilometer langen Pacific Crest Trail die Vereinigten Staaten von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze durchwandern. «Es war ein Risiko, doch wir wollten es trotz Wandas Krankheit durchziehen.» 156 Tage waren sie unterwegs, Wanda wollte mehrmals aufgeben. «Ich motivierte sie zum Weitermachen, habe mich aber oft gefragt, wie viel Egoismus von meiner Seite im Spiel war. Rückblickend bin ich mir sicher, dass es richtig war, denn in den letzten Wochen ihres Lebens sagte mir Wanda oft, wie glücklich sie beim Gedanken an dieses Abenteuer sei.»
Sieben Jahre lang kämpfte Wanda gegen den Krebs, hatte starke Schmerzen und stand ständig unter Morphium. «Dank der Hilfe von Familie, Freunden und der Spitex konnte ich meine Frau rund um die Uhr daheim betreuen – bis sie in meinen Armen starb.» Die Pflege seiner Frau und ihr Tod forderten ihm alles ab. Als technischer Kaufmann hatte er eine Arbeitsstelle, die ihn stark belastete. Fünf Monate vor dem Ableben von Wanda hatten sie noch geheiratet. «Vor und nach dem Tod von Wanda habe ich einfach funktioniert. Anfangs ging es noch einigermassen, trotz Schwindelanfällen und Sehstörungen. Bis zur Beerdigung habe ich durchgehalten.» Dann ging es bergab. Der endgültige Zusammenbruch kam ein halbes Jahr später. «Wanda war nicht mehr da, ich war allein. Physisch und psychisch am Boden liess ich mich krankschreiben. Eine Psychotherapie brach ich nach sieben Sitzungen ab, weil ich das Gefühl hatte, ich könne mich selber heilen.» So begann er mit Ausbildungen in Psychologie und Traumatherapie. Glücklicherweise hat
es funktioniert. «Es hätte ebenso schlimm ausgehen können mit dieser ‹naiven› Selbstheilung.» Philippe Ackermann hatte auch Suizidgedanken. «Wenn die Lebensfreude schwindet, fragt man natürlich schon nach dem Sinn des Lebens. Ich habe an Suizid gedacht, aber nie vorgehabt, mich wirklich umzubringen.»
Damals wohnte er auf einem Bauernhof. Er begann mit Zen-Bogenschiessen, um in seinem Leben wieder einen Fokus zu bekommen, und das Salsa-Tanzen brachte ihm die Lebensfreude zurück. «Ich habe alles gemacht, was mir positive Gefühle vermittelte.» Die grösste Hilfe fand Philippe Ackermann im Schreiben. «Ich habe schon mit 15 Jahren damit angefangen. Kurz bevor Wanda starb, begann ich unter dem Pseudonym Felipe Vasques mit meinem Debütroman ‹Milan und das Meer›. Die Handlung ist frei erfunden, aber viele Szenen habe ich gefühlsmässig wirklich erlebt, den Schmerz, die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Suche nach einem Neubeginn.»
Philippe Ackermann hat den Neubeginn geschafft. Vor vier Jahren lernte er die Traumatherapeutin Julia (37) kennen. «Heute hat mein Leben wieder einen Sinn, und es tun sich viele neue Möglichkeiten auf, zum Beispiel das Schreiben als Teilberuf. Wir leben in Weggis und träumen von einem Eigenheim. Vielleicht finden wir einen alten Bauernhof, den wir umbauen können und in dem eine ganze Familie Platz findet.»
Julia und Philippe haben noch keine Kinder. «Wir hoffen aber, dass wir welche bekommen.» Das Coronavirus vereitelte leider ihre Heiratspläne. «Jetzt feiern wir halt nächstes Jahr Hochzeit. Hauptsache ist, dass ich mit Julia meine Partnerin fürs Leben gefunden habe.»