Jürg «Jacky» Torriani
So viele Geheimnisse und Lügen
Er ist das älteste Kind von Vico Torriani (†), aus dessen erster Ehe. Richtig zu ihm gestanden ist der Entertainer nie. Damit hadert der Sohn noch heute – mit 72 Jahren. Auch weil so viele Fragen offen und Fakten im Dunkeln blieben.
Er möchte, dass man ihm zuhört, dass die Leute seine Geschichte kennen. Der GlücksPost zeigt Jürg «Jacky» Torriani stolz seine Eigentumswohnung im Komplex Les Bains de Saillon (VS). Jeden Tag, schwärmt er, könnten er und seine Frau Marinette (70) direkt von der Wohnung aus in die Bäder und Restaurants gehen, die zum Erholungspark gehören. Er spielt uns auf dem Keyboard vor und zeigt den Showman, der in ihm steckt – zeitweise verdiente sich der gelernte Koch sein Geld als Alleinunterhalter. Trotz seiner verstümmelten rechten Hand, deren Finger er während seiner Ausbildung zum Koch in einer Fleischhack-Maschine verlor.
Er erzählt von seinen vielen Stationen, vom Küchenlehrling zum Küchenchef bis hin zum Restaurantbesitzer. Davon, dass er trotz seines Handicaps alles erreichte, was er sich vorgenommen hat, nie eine Invalidenrente bezog. Wie er als 50-Jähriger zusammen mit Marinette zum Rucksack-Touristen wurde, der die ganze Welt bereiste. «Wir haben gut gelebt, nicht?», fragt er seine Frau, als bräuchte er ihre Bestätigung.
Die braucht er tatsächlich, wenn die Zweifel und der Schmerz, die in seinem Innern brodeln, wieder hochkommen. War sein Leben wirklich so gut? Sein berühmter Vater verliess Jürg und dessen Mutter, als der Junge drei Jahre alt war. Die grosse Karriere von Sänger und Showmaster Vico Torriani (†1998), der am 21. September 100 Jahre alt geworden wäre, hatte gerade richtig Fahrt aufgenommen. Und eine neue Frau wartete in Basel: Evelyne Güntert (†2010), die Mutter von Jürgs Halbgeschwistern Nicole (67) und Reto (61).
Hier nimmt ein Leben seinen Anfang, das geprägt ist von Ablehnung, Lügen und Geheimnissen: Die Jahreszahlen und Angaben in den amtlichen Dokumenten, die Jürg vorliegen hat, stimmen nicht mit der kolportierten Biographie des Vaters überein. Vico pflegte noch Kontakt zu seiner ersten Familie, als er mit seiner zweiten Frau bereits ein Kind hatte. Als Beweis zeigt Jürg ein Kochbuch von seinem Vater, das dieser 1958 mit einer persönlichen Widmung an seine erste Frau Raymonde (†) geschickt hat. Und im Fotoalbum – mit Kommentaren in Vicos Handschrift – gibt es Bilder von Vater und Sohn, auf denen Jürg vier, wenn nicht gar fünf Jahre alt ist. Also zu einer Zeit, als seine Halbschwester Nicole (67) bereits auf der Welt war.
Er hat all die Dinge behalten – sie sind die einzigen Hinweise auf eine Kindheit, die im Dunkeln liegt. «Meine Mutter erwähnte Vico mit keinem Wort. Das Thema existierte nicht.» Jürg war weder für seinen Vater noch für seine Mutter ein Wunschkind. «Mama hat mich misshandelt und in der Obhut einer Gouvernante gelassen. Arbeit und Erfolg hatten bei ihr Priorität.» Die Rettungsanker in dieser deprimierenden Zeit waren Jürgs Grossmütter, die ihn liebten und bei denen er schöne Tage verbringen durfte. «Doch meine Mutter begann irgendwann, meinen Kontakt zu ihrer Mutter zu unterbinden. Sie erzählte mir erst drei Tage nach Omas Tod von ihrem Ableben. Ich konnte nicht einmal Abschied nehmen.» Warum? Keine Erklärung.
Ebenso wenig, weshalb Vater Vico plötzlich nichts mehr von seinem Ältesten wissen wollte und die beiden Familien streng voneinander trennte. Jürg erinnert sich an ein Treffen in den 70er-Jahren: «Wir konnten kaum miteinander sprechen, weil er ständig Autogramme gab. Dann sagte er plötzlich, ich müsse jetzt gehen, weil meine Halbschwester gleich kämen.»
1990, an der Beerdigung von Vicos Vater, Jürgs Grossvater, wollte der verstossene Sohn der Familie seine Braut Marinette vorstellen. «Doch plötzlich waren sie alle verschwunden – zum Traueressen, an das wir nicht eingeladen waren.» Einen Satz seines Vaters an diesem Tag wird er nie vergessen: «Er bedankte sich bei mir, dass ich mich all die Jahre im Hintergrund gehalten habe.» Kein Wort zu den unzähligen, unbeantworteten Briefen. «Ich glaubte, wir hätten uns so viel zu sagen, bei all den Gemeinsamkeiten. Ich war wie er Koch und Musiker. Doch er wollte nicht ein einziges Mal hören, wie ich spiele. Hatte er Angst, dass ich Geld will?» Jürg blieb wieder mit offenen Fragen zurück. Neuigkeiten über seinen Vater erfuhr er aus der Presse.
Geld wurde letztlich doch noch ein Thema, als Vico 1998 verstarb. Jürg erfuhr wiederum erst davon, als die Beerdigung vorüber war – von einem Gast seines Restaurants. Vicos Tod – ein weiteres Rätsel: Er sei friedlich eingeschlafen, lautet die eine Version. Die andere, dass er an Krebs litt und niemandem davon erzählt hatte. «Er trug so viele Geheimnisse mit sich herum», seufzt sein Sohn.
In den Medien äusserte Jürg den Verdacht, dass er um einen Teil seines Erbes betrogen worden war. «Ich weiss von Wertsachen, die nicht im Nachlass aufgeführt waren. Wahrscheinlich, weil sie schon zu Lebzeiten meines Vaters an meine Halbgeschwister verteilt wurden.» Er erhielt den gesetzlichen Mindestanteil von 2/32. «Es war weit weniger, als sich die Leute vorstellen.»
Dass Vico selbst eine traurige Kindheit und Jugend hatte, kam 20 Jahre nach seinem Tod aus: Er war ein Verdingkind. Das hatte er sogar seinen engsten Familienangehörigen verschwiegen. Der Deckel des Schweigens war Vicos Methode, mit unangenehmen Dingen umzugehen. Der immer fröhliche Entertainer – eine Fassade, die ihm half, sein Leben zu bewältigen.