«Ich fühle mich manchmal verloren in dieser Welt»

«Goof der Nation» wird sie liebevoll genannt – und feiert in wenigen Tagen ihren 80. Geburtstag. Ihre Kindlichkeit hat sich die Schauspielerin bewahrt und doch ist da auch Traurigkeit!

Der kürzlich beendete Platzregen lässt das Grün der Bäume im Garten am linken Zürichseeufer glänzen. Das Hündchen dreht und wen-det sich im frischen Gras und geniesst die Abkühlung. «Thilo, komm», tönt es von der geöffneten Türe. Das quirlige Wollknäuel spurtet ins Haus zu Frauchen. «Feins Hundi», lobt Ursula Schaeppi ihren vierbeinigen Lebensgefährten und knuddelt ihn. Mit Thilo auf ihrem Schoss beginnen wir das Gespräch.

GlücksPost: 80 Jahre alt zu werden, was bedeutet das für Sie?

Ursula Schaeppi: Wenn ich das wüsste. Ich kann das eigentlich noch gar nicht fassen. Aber Hauptsache, ich bin gesund und munter. Ich war heute bei der Ärztin, sie ist begeistert, wie fit und beweglich ich bin. Ich musste dort ein paar Übungen machen. Früher hatte ich Rückenprobleme, aber das ist alles vorbei. Die einmal prognostizierte Altersleukämie behindert mich nicht, daran stirbt man nicht. Auf jeden Fall spüre ich die 80 Jahre nicht.

Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was bleibt vor allem im Gedächtnis haften?

Dass ich ein reich erfülltes Leben auf den «Brettern, die die Welt bedeuten» hatte, auch wenn der Weg dahin oftmals beschwerlich war.

Ihre ersten Schritte auf der Bühne?

Ich durfte mit dem Kinderballett im Stadttheater Zürich, heute Opernhaus, erstmals auftreten und etwas später auch im Schauspielhaus Zürich. Dort fand ich viele wunderbare Kollegen, die meine Eltern davon überzeugten, mich in die Schauspielschule zu schicken. Aber ich bin ein Arbeiterkind, und meine Eltern hatten das Geld nicht. So verdiente ich es mir mit 15 Jahren in der Buchhaltung einer Krankenkasse das Geld selbst dazu und eine Schauspielerin vom Schauspielhaus vermittelte mir einen Lehrer. Mein grosser Schauspiel-Meister Walter Fried (Bühnenstudio Zürich) öffnete mir den Weg zu mir selbst und meiner Begabung, die mir Gott geschenkt hat. Er war einer der ersten, der sich mit Yoga befasste. Seine Todesanzeige wurde später mein Mantra, wenn ich jeweils schlotternd vor Lampenfieber hinter der Bühne auf meinen Auftritt wartete. «Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, wenn die Herrlichkeit des Herrn über dir aufgeht.» Damit habe ich mich jeden Abend vor der Vorstellung zurückgezogen. Sobald der Vorhang aufging, war die Angst wie weggeblasen.

Sind Sie religiös?

Ja, sehr! Ich bin reformiert aufgewachsen und habe später zum Buddhismus gewechselt. Da lernte ich, dass man nur ohne Egoismus zu sich selber findet. Die Welt könnte viel besser aussehen, wenn das viele Menschen mehr berücksichtigen würden.

Sind Sie zufrieden mit Ihrem Leben?

Ja, voll! Ich würde natürlich gerne wieder Theater spielen, das kann man bis 90, wenn das Gedächtnis bleibt. Mir fehlt mein Beruf sehr. Mit dem Gedächtnis habe ich kein Problem. Die letzte Bühnenrolle war eine Eigenproduktion, die ich selbst schrieb: «Aber nume no eimal». Das Stück ist eine Art autobiographischer Rückblick auf mein Leben. Im Zürcher Bernhard Theater hatte ich damit vor ein paar Jahren viel Erfolg.

Warum sieht man Sie nicht mehr im Fernsehen?

Das fragen mich so viele Leute, wenn sie mich auf der Strasse ansprechen und meistens sagen: «Sie haben uns so viel Freude gemacht und zum Lachen gebracht.» Dann antworte ich einfach: Die meinen dort wohl, ich sei gestorben. Ich habe nie mehr auch nur ein Angebot bekommen. Bitterkeit kommt bei mir deshalb nicht auf – eher Verlassenheit. Und es fühlt sich zuweilen an, wie ein bisschen verloren zu sein  in dieser Welt.

Sie haben früher mal über Depressionen gesprochen…

Das mit den Depressionen ist längst vorbei. Mit einer Therapie bei meiner Ärztin und Medikamenten ging das weg. Hin und wieder spüre ich eine gewisse Traurigkeit in mir. Aber mit meinem neuen Hundeli Thilo geht das jeweils schnell vorbei.

Wie und wo begann Ihre grosse Karriere?

Wie viele andere Schweizer Künstler startete ich meine Bühnenkarriere im Ausland. Ich sah damals noch sehr jung aus, ich hatte ein Kindergesicht oder ein Strahlen, ich weiss es nicht. «Sie sehen ja aus wie neun, wie können sie sich da in eine Rolle hineinfühlen?» Aber mein grosser Meister Walter Fried hatte mein Sendungsbewusstsein gestärkt. Während meiner ersten Rolle in Bern, «Glasmenagerie» von Tennessee Williams, sagte mir eine Kollegin, in Bruchsal in Deutschland suche man noch junge Schauspieler. Ich sprach dort vor, später auch in Castrop-Rauxel und wurde sofort engagiert. Bei einem Besuch in Berlin betrachtete ich vor einem Theater die Fotos, da kam mir der Neffe der Film-Legende Emil Jannings entgegen, fragte: «Sind Sie Schauspielerin, ich brauche Sie!» Ich bekam gleich eine Top-Rolle in einem Zweipersonenstück. Nach Auftritten in München gab ich in den Kammerspielen Berlin in Märchenaufführungen Kinderrollen.

Und dann ging es in die grosse, weite Welt hinaus?

Ja, danach war ich ein Jahr in Südamerika, Mittelamerika und Mexiko unterwegs. In Buenos Aires studierte unser Ensemble in vier Monaten alle unsere Stücke ein, und dann ging es auf die grosse Theater-Tournee, wo wir für die deutsche Kolonie auftraten. In Santiago de Chile lernte ich nach der Aufführung den damaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt kennen. Danach sassen wir alle zusammen und wohnten im gleichen Hotel. Dabei ist es mit dem hochkarätigen Politiker fast zu einer Liaison gekommen.

Spannend!

Ja, aber mehr möchte ich nicht verraten.

Wie kamen Sie in den «Teleboy»?

Als ich endgültig in die Schweiz zurückkehrte, traf ich den Schauspieler Inigo Gallo. «Wir suchen für den Schwank ‹Hochzeit in Hägglingen› noch eine Schauspielerin, die ein Kind spielen kann», sagte er. Ich erwiderte, ich hätte in Deutschland viele Kinderrollen gespielt. Also trat ich mit den damals berühmtesten Schweizer Schauspielern auf, mit Jörg Schneider, Ruedi Walter, Margrit Rainer und vielen mehr. Eines Tages kam auch Kurt Felix ins Theater und engagierte mich vom Fleck weg. Die Rolle als Goof hat mich sehr populär gemacht, und ich hatte über Nacht ein gutes Image. Ja, und später freute ich mich natürlich riesig, dass ich im Quiz «Traumpaar» die Rolle der Eva Chifler neben Walter Andreas Müller (WAM) als Adam Chifler bekam.

Sehen Sie ehemalige Kollegen wie WAM noch?

Leider nein. Ich habe mit niemandem mehr Kontakt. Ich sehe die alten Kollegen höchstens noch dann, wenn ich ins Theater gehe. Aber das konnte ich wegen meinem Hundi lange nicht mehr.

Paola Felix?

Wenn wir uns sehen, freuen wir uns sehr. Sie zieht sich ja immer mehr zurück.

Sie sind seit Jahren single. Vermissen Sie die Zweisamkeit?

Nein. Ich habe ja das neue Hundi. Aber sicher würde man gerne mal mit jemandem reden.

Sie führten eine langjährige Beziehung mit Theaterunternehmer Ruedi Haas und trennten sich…

Das war eine wunderschöne Beziehung, die 16 Jahre dauerte. So habe ich sie auch in Erinnerung. Ruedi, er war jünger als ich, fand eine noch jüngere Frau. Ich bin ihm nie richtig böse gewesen, ich war einfach enttäuscht und traurig. Mit Meditation konnte ich die Trennung überwinden. Leider fand die Trennung genau in einer Zeit statt, als meine Eltern, mein Bruder und mein geistiger Bruder innerhalb weniger Jahre starben.

Würden Sie heute gerne nochmals 20 sein?

Nein, nein! Es ist mein Karma, dass ich jetzt 80 werde.

Was haben Sie noch für Pläne?

Ich werde weiterhin Lesungen geben und damit zu den Menschen gehen. Für mich sind die Themen dabei immer die Jahreszeiten, Gedichte, lustige und ernste Geschichten dazu, ein ganz gemischtes Programm. Die Leute mögen das. Sie hören gerne Geschichten aus der Welt-Literatur. Themen, die in der Schule vielleicht an ihnen vorbeigegangen sind.

Was würden Sie rückblickend anders machen?

Ich glaube nichts. Ich danke Gott für mein reiches Leben, ich bin dankbar für die Begabung, die er mir gegeben hat und dass ich damit für die Menschen da sein durfte. Das ist mir wichtig.

Haben Sie schon über den Tod nachgedacht? Was soll einst auf Ihrem Grabstein stehen?

Einen Grabstein wird es bei mir sicherlich nicht geben. Meine Asche soll dereinst irgendwo verstreut werden.

Da kommt Freude auf, da funkeln ihre Augen: Schaeppi zieht ihr altes Kostüm an und gibt nochmals den «Goof der Nation».