Christian Stucki
Endlich wieder Zeit für seine Liebsten
Mit seinem Sieg am Eidgenössischen hat er sich Ende August in die Herzen der Menschen geschwungen. Auch kurz vor Weihnachten klingt der Triumph noch nach und prägt den Alltag der Familie.
Du musst die Schuhe ausziehen, wenn sie nass sind», sagt Elia (4) bestimmt zur GlücksPost-Reporterin. Wir stehen im Eingang des Hauses in Lyss BE, in dem Christian Stucki (34) mit seiner Familie seit über drei Jahren wohnt. Der amtierende Schwingerkönig trägt Trainingshosen und T-Shirt, geht sich aber gleich im oberen Stock umziehen.
Ehefrau Cécile (38) ist stark erkältet – auch Elias Nase läuft. Jetzt fehlt nur noch Xavier, der ältere Sohn. Er ist draussen am Spielen. Als sein Vater ihn ruft, taucht der Sechsjährige auf – von oben bis unten mit Dreck verschmiert. «Wir haben eine Matschrutsche gefunden», berichtet er stolz. So kann er natürlich nicht ins Haus. Das ist schlimmer als nasse Schuhe. «Geh unten rein und lass die verschmutzten Kleider gleich im Waschkeller», weist ihn seine Mutter an.
Heute ist Christbaumschmücken angesagt. Dieses Jahr ist er wieder echt. «Davor hatten wir einen Plastitsch-Baum», erklärt Stucki – er spricht das Wort tatsächlich so aus. «Ja gell, ist halt praktisch – auch wegen der Kinder.» Drei Mal feiern sie Weihnachten: «Am 24. mit meiner Familie, am 25. bei Chrigus Grossmutter, die an diesem Tag 90 Jahre alt wird. Und am 26. mit Freunden bei uns», erzählt Cécile.
Es wird entschieden, welcher Schmuck die Tanne verschönern soll. In seinem Eifer fällt Elia eine Kugel aus den Händen und zerbricht auf dem Plattenboden. Xavier meint tadelnd: «Elia Stucki!» – und macht mit dem kabellosen Staubsauger sauber.
Familie Stucki bastelt die Weihnachtsgeschenke selber. Elia hält die ganze Zeit nur eine Tube Klebstoff in der Hand. Er wartet, bis die anderen mit der Arbeit so weit sind und seine Zeit gekommen ist. Dann will er «gaaaaaanz viel Leim» rausdrücken.
«Die Kinder sind etwas müde nach einer strengen Woche», entschuldigt Cécile. Mit den GlücksPost-Mitarbeitern als Publikum drehen sie erst recht auf. «Für sie ist auch einiges neu. Nach dem Sieg ist der ganze Rummel um Chrigu über uns hereingebrochen.» Die Buben sind lebendig und immer in Bewegung. «Xavier ist etwas ruhiger geworden, seit er nun in der ersten Klasse ist.»
Auch beim Kartenspiel «Fettsack» geht die Post ab. «Ich lasse euch alle runter», kündigt Xavier an. Am Ende gewinnt Cécile. Elia ist enttäuscht. Sein Vater nimmt ihn in seine starken Arme und tröstet ihn. Daraus entwickelt sich ein lautstarkes Balgen. Xavier gesellt sich dazu. Sie kitzeln sich. Die drei sind ein einziges Knäuel aus Beinen und Armen. Da und dort taucht ein Kopf auf. Kichern und Knurren ertönt vom Sofa. Ab und zu ein Schrei oder ein «Aua!».
Für Christian ist jeder Moment mit den Kindern kostbar. Seit er am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Zug am 25. August König wurde, wollen alle etwas von ihm. Medienanfragen, Einladungen an Anlässe und Auftritte sowie Arbeiten für seine Sponsoren nehmen das letzte bisschen Freizeit in Beschlag. Dazu kommen vier Trainingseinheiten pro Woche. «Im Moment sehe ich meinen Manager öfter als meine Frau», meint er trocken.
Drei Monate sind seit der Krönung von Chrigus Schwingkarriere vergangen. Der Moment ist immer noch präsent: «Es ist schön, daran zurückzudenken. Solche Emotionen kannst du nur im Sport erleben», sagt Cécile. «Und wir wollten das ja, gaben alles für Chrigus Sieg. Jetzt haben wir es und arrangieren uns gerne damit.»
Das Dilemma der Stuckis ist, dass sie in zweierlei Hinsicht an einem einzigartigen Punkt ihres Lebens stehen: Einerseits sind die Kinder noch klein, was die Eltern natürlich geniessen möchten. Anderseits ist Stucki als Sportler in der Form seines Lebens – dank neuen Trainern und Betreuern. «Wir müssen noch den richtigen Weg finden, damit niemand von uns zu kurz kommt», sagt Cécile. Die Buben hätten sich schon beklagt, weil Papa sie nicht mehr zu Bett bringe.
Cécile arbeitet in Lyss Teilzeit in einem Notariatsbüro. Chrigu hat sein Arbeitspensum als Lastwagenchauffeur reduziert, damit stets einer von ihnen bei den Kindern sein kann. In letzter Zeit hätten sie sich aber praktisch nur noch die Türklinke in die Hand gegeben. Sie seien daran, Wege zu finden, sich anders zu organisieren, um mehr Zeit miteinander verbringen zu können.
Die Termine werden in absehbarer Zeit nicht weniger. Stucki hat bereits angekündigt, dass er seinen Königstitel 2022 in Pratteln verteidigen will. Er habe immer noch Freude am Schwingen. «Und ich bin in der glücklichen Lage, dass mein Körper ‹zwäg› ist.» Aber danach sei dann wohl fertig. «30 Jahre im Sägemehl sind genug. Wir älteren Schwinger scherzen schon lange, wie wir nach unserem Rücktritt mit einem Bier in der Hand an den Schwingfesten sitzen, zusehen und sagen: ‹Wir waren halt schon die Besten.›»