«Tiefer kannst du nicht sinken»
Fünf Jahre lebte Linda auf der Strasse – eine schwere Zeit. Heute hilft sie Obdachlosen bei der Rückkehr in eine normale Existenz.
Ein Waschbecken und eine Dusche ganz für sich allein – das ist wahrer Luxus für Linda Rennings. Sie lässt den Blick über das frische Handtuch, die Seife und die sauber aufgereihten Pflegeartikel schweifen – und lächelt. All das gehört nun ihr. Was an einem eigenen Badezimmer so besonders ist? «Ich war obdachlos», sagt Linda. «Und in den Unterkünften haben Frauen keine Privatsphäre. Wenn sich 25 Personen eine Toilette teilen müssen, dann kann sich jeder vorstellen, was das für Zustände sind.»
«Tiefer kannst du nicht sinken», sagt die heute 55-Jährige aus Köln. Sie hatte jung geheiratet. Zwei Ehen mit Gewalt, den Job in der Metzgerei verlor sie. Dann die Psychose. «Mein Verstand hat sich aufgehängt. Ich irrte durch die Gegend, sprach nur noch wirres Zeug.» Sie musste raus aus ihrem Zuhause, lebte fünf Jahre auf der Strasse, ein Jahr davon auf dem Friedhof, in der Nähe des Grabes ihrer Grossmutter, das inzwischen aufgelöst ist. «Bei ihr bin ich aufgewachsen, da fühlte ich mich sicher.» Nachts schlief sie auf einer kalten Metallbank, auch im Winter bei Schnee und Eis. «Wenn ich heute zurückblicke, ist es kaum zu glauben, welche Temperaturen ich damals aushielt. Meine Lunge ist seitdem geschädigt», erzählt sie.
Dass sie überhaupt wieder ein Dach über dem Kopf hat, war ein langer Weg. «Ich wog nur noch 45 Kilo, brachte die Tage irgendwie rum. Aber ich habe nicht gebettelt, mich nicht prostituiert, keinen Alkohol, keine Drogen genommen», sagt Linda. «Das hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass ich diese extreme Zeit überstehen und wieder in ein bürgerliches Leben zurückfinden konnte.»
Immer an ihrer Seite: Ihr geliebter Hund Clayd, der ihr durch die schwersten Stunden geholfen hat. «Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft», sagt sie. Ein Amtsarzt wies sie schliesslich in die Psychiatrie ein. Dort bewältigte sie ihre Psychose. Danach kam sie in eine Wohngruppe, lebt seit 2011 in einer kleinen Sozialwohnung.
Weil sie dankbar ist für diese Chance, hilft sie heute anderen in der Kölner Obdachlosenseelsorge, schreibt für das Obdachlosenmagazin «Draussenseiter» und verkauft es. Sie hat auch ihren eigenen Verein «Heimatlos in Köln» (www.hik-koeln.de) gegründet. Es macht sie glücklich, wenn sie Obdachlosen helfen kann. «Der Verein», strahlt sie, «ist jetzt meine Lebensaufgabe.»