Waschbär
Alles fing im Aargau an
Seit 1965 ein Waschbär über den Rhein schwamm, hat er sich bei uns verbreitet. Weltweit auch.
Das war eine Nullnummer! Auf 213 m ist der Waschbär hochgeklettert – und wofür? Für nichts. Absolut nichts.
Kranführer Robert MacFarlane staunt nicht schlecht, als er am 16. April 2015 gegen 14 Uhr an seinem Arbeitsplatz hoch über Toronto in die Augen eines Waschbären blickt. Schnell zückt er sein Handy, um den Ausflug des Eindringlings für die digitale Welt festzuhalten.
«Er hat mich angezischt und den Rückzug angetreten.»
Die katzengrossen Bären haben die kanadische Stadt fest im Griff. Wildtierbiologen schätzen, dass mehr als 100 Tiere pro Quadratkilometer herumwuseln. Und Toronto ist nicht die einzige Eroberung: New York oder Washington D. C. in Nordamerika; Kassel, Hannover oder Berlin in Deutschland. Zentralasien? Passt.
Wie sieht es bei uns aus? Längst ist er auch in die Schweiz eingewandert bzw. eingeschwommen. Als Stichjahr gilt 1965: Damals wurde ein Waschbär beobachtet, wie er von Süddeutschland aus den Rhein überquerte und den Aargau besuchte. Heute sind sie weit verbreitet: Vom Boden- bis an den Genfersee und aus dem Rhonetal gibt es Meldungen. Wie viele tatsächlich durch unser Land streifen, kann niemand sagen, da sie eine Art Parallelleben führen. Selbst im dicht besiedelten Toronto sind Begegnungen selten.
Wie schwierig es ist, sie aufzuspüren, weiss auch Stanley Gehrt. Der US-Biologe studiert seit über 25 Jahren Wildtiere in der Stadt: «Zwar sind die Stadtbären alles andere als scheu, doch ihr nachtaktiver Lebenswandel macht Beobachtungen schwierig.» Selbst Tiere mit GPS-Halsband habe er schon mühevoll gesucht – unter Hecken, auf Dächern, Bäumen oder in Mülltonnen.
Heute kann Professor Gehrt die urbanen Waschbären gut beschreiben: Ihre Reviere sind klein, meist streifen sie bloss um wenige Häuser. Stark befahrene Strassen meiden sie.
Ihre eigenen Highways führen meist über Mauern oder Dächer. Neue Futterquellen kennen nach drei Tagen alle im Bezirk. Stanley Gehrt: «Das Stadtleben hat sie sehr faul und dick gemacht. Aber auch sehr schlau!» Die 40 Jahre in der Stadt hätten ihr Verhalten stärker verändert als die 40 000 Jahre zuvor. «Mit einer gehörigen Portion Neugier inspizieren sie alles, und was sie mal können, vergessen sie nicht mehr. Dieses Wissen geben sie dann dem Nachwuchs weiter.»
Im Fall der Kran-Kletterei hiesse der Tipp wohl: Lasst die Tatzen davon!